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Der Fluß

Wortkarge Geschichte einsamer Großstädter

Minimal-Dialoge, lange, fixierte Einstellungen und Bilder, die in ihrer Komposition an Gemälde erinnern und doch manchmal nur ein winziges Detail einfangen - DER FLUSS fließt langsam in diesem Fall.

Der junge Xiao-kang lebt noch in der elterlichen Wohnung in Taipeh. Vater und Mutter gehen schon längst getrennte Wege. Die Mutter, Fahrstuhlführerin in einem Restaurant, hat eine Affäre mit einem Pornofilmer. Der Vater arbeitet nicht mehr und sucht anonymen Sex in den Badehäusern der Stadt. Gesprochen wird zwischen den Dreien nur das Nötigste. Eines Tages trifft Xiao-kang eine alte Freundin wieder, die inzwischen Produktionsleiterin beim Film ist. Sie lädt ihn zu einem Besuch am Drehort ein. Nach einem spontanen Statistenauftritt als dringend benötigte Wasserleiche, befällt Xiao-kang eine mysteriöse Krankheit. Er bekommt heftige Nackenschmerzen und Haarausfall. Der Vater begleitet seinen Sohn zu verschiedenen Ärzten, und Xiao-kang erleidet etliche Torturen, ohne daß eine Besserung seines Zustands eintritt. Endlich fährt der Vater mit ihm zu einem Wunderheiler in den Süden. Dort, im Dunkel einer Schwulensauna, treffen Vater und Sohn unerkannt aufeinander ...

Der dritte Spielfilm des Taiwanesen Tsai Ming-liang kommt nun hierzulande in die Kinos, nachdem REBELS OF THE NEON GOD und VIVE L’AMOUR trotz Festivalauszeichnungen und internationalem Erfolg nur im Fernsehen zu sehen waren. Einsamkeit und Entfremdung in der Anonymität urbaner Welten sind die Themen Tsai Ming-liangs. In DER FLUSS zeichnet er das Bild einer Familie und bricht dabei mit Tabus wie Homosexualität und Inzest. Auch die Figur der Mutter, die ihren kranken Sohn mit einem Vibrator massiert und mit einem Pornofilmer liiert ist, gilt als wagemutig im asiatischen, speziell taiwanesischen Film.

Die formale Strenge verlangt dem Zuschauer viel Geduld ab. Keine Musik, die der Dialogarmut entgegenwirken könnte, lange Minuten fast völliger Finsternis und spärlicher Geräusche - Tsai Ming-liang setzt auf ausgeschlafene Zuschauer. Wer die durstigen Strecken dieser Studie meistert, kann dennoch fündig werden und melancholische bis absurde Komik entdecken.

Originaltitel: HE LIU

Taiwan/China 1997, 116 min
Verleih: Peripher

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Lee Kang-sheng, Miao Tien, Lu Hsiao-ling

Regie: Tsai Ming-liang

Kinostart: 15.08.02

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.