D 2006, 97 min
FSK 12
Verleih: Kinowelt

Genre: Dokumentation, Polit, Historie

Regie: Michael Verhoeven

Kinostart: 19.10.06

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Der unbekannte Soldat

Dokumentation gegen das Vergessen

Das Intro wirkt zunächst wie abgeschnitten - ein Percussionensemble, eine Kamerafahrt in einen lichtlosen Tunnel. Doch der Kunstgriff erschließt sich bald - Verhoeven führt den Zuschauer erneut in ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte. In seiner Struktur bezieht sich die Dokumentation immer wieder auf ein vergangenes Ereignis: Die sogenannte Wehrmachtsausstellung - zwei Fassungen sollten ihr später beschieden sein - stand im Zeichen eines Tabubruchs. So spät sie kam, diese Exposition über den Vernichtungskrieg im Osten 1941-1944, sie rührte an Unausgesprochenem, an Verschwiegenem - der Rolle der Wehrmacht im Verlauf des Zweiten Weltkrieges.

Verhoevens Thema ist nochmals dieses Tabu, und er zeigt die vielfältigen Reaktionen auf die Schau. Während es ein Verdienst der Ausstellung war, das Schweigen zu brechen und dem "Fotoalbum" der Deutschen auch die Bilder der Verbrechen durch die Wehrmacht hinzuzufügen, geht das Anliegen des Films weiter. Der Regisseur rückt eine zweifelhafte Überlieferung in den Blick, die Ehrung des unbekannten Soldaten. Er spürt hier einer tradierten Erinnerungskultur nach, mit der eine neue "Kategorie" von Toten geschaffen, und in der Täter zu Opfern wurden.

Verhoeven interviewt Historiker, Ausstellungsmacher - und Besucher. Er filmt die Reaktionen in der Schau sowie auf der Straße, wo sich alte und neue Nazis zum Protest formieren, abgeschirmt von den Gegendemonstranten, und er trifft Politiker und Zeitzeugen, darunter einen ehemaligen Wehrmachtssoldaten, der von Schuld und Scham spricht und Hitlers "Mein Kampf", ungelesen von so vielen, als einen "Schlachtplan" benennt. Der Filmemacher selbst nimmt einen deutlichen Standpunkt ein, den er durch die Auswahl und Plazierung umfangreichen Archivmaterials und bislang unveröffentlichter Dokumente immer wieder betont. So erfährt man im Auszug einer Rede Adenauers, daß der "Ehre der früheren deutschen Wehrmacht kein Abbruch" getan werden dürfe. Dem gegenüber gestellt sind Bildzeugnisse begangener Gräueltaten an Zivilisten. Verhoeven begibt sich auch auf die Reise zu den Orten, wo das Unfaßbare geschah, zu Zeitzeugen in der Ukraine und Weißrußland. Einzig hier, wo er Interviews hinter einem Zaun aus Stacheldraht führt, entsteht das Gefühl, der Wille zur Deutlichkeit bedinge ein Übermaß an Inszenierung. Der Film bedarf solcher Gleichnisse nicht, er ist eindringlich, erschütternd und mutig. Und Verhoeven setzt erneut ein mahnendes Zeichen - gegen das Vergessen.

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.