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Die andere Seite des Mondes

Bekenntnisse eines poetischen Melancholikers

Phillipe umkreist seit 40 Jahren sich selbst, wie die sowjetische Raumsonde, die erstmals Bilder von der vernarbten Rückseite des Mondes schoß, eben jenes Himmelsgestirn. Sein Leben kann als gescheitert gelten. Zwar ist er ein Experte für Fragen der Raumfahrt, insbesondere der russischen, und nicht auf den Mund gefallen. Es hört ihm nur niemand zu. Und seine Doktorarbeit über den narzißtischen Ursprung der Weltraumforschung nimmt ihm auch keiner ab. Nach dem Tod seiner Mutter, in deren Wohnung er noch immer lebt, muß er sich allerdings neu mit der Annäherung der Menschheit an außerirdische Intelligenzen, der Gegenwart an die Vergangenheit, der Amerikaner an die Russen und der persönlichen an den erfolgsverwöhnten Bruder auseinandersetzen.

Nicht nur die Raumfahrt, sondern auch das Kino kann die Gesetze der Schwerkraft überwinden. Regisseur Robert Lepage verdoppelt sich ganz einfach, indem er selbst beide Brüder verkörpert, übersetzt mühelos sein eigenes Theaterstück in eine filmische Bildmetamorphose und verbindet Wort- und Situationswitz mit philosophischen Betrachtungen. Eine Waschmaschine dient ihm als Fenster zur Unendlichkeit und in die Seele seines Protagonisten, eines unverbesserlichen Verlierers, dem der Goldfisch der Mutter wichtiger ist als sein berufliches Fortkommen. Daß der Bruder als national bekannter Wetteransager nicht glücklicher ist, gehört zu den ironischen Wendepunkten, die den Film so liebenswert und vielschichtig machen.

Das Erzählen einer Geschichte ist dabei eher Nebensache. Selbst der Bruderkonflikt fließt beiläufig als eine wichtige soziale Note in Phillipes Leben mit ein. Unter der wunderbaren Welt der Bilder geht es bei Lepage schließlich auch angenehm ernst und sentimental zu. In einer der bewegendsten Szenen ruft Phillipe aus dem Callcenter, in dem er sich verdingt, unwissentlich seine Ex-Freundin an und erfährt, daß sie verheiratet und Mutter ist. Innerhalb eines Telefonates durchleben die beiden nun die Entwicklung ihrer gescheiterten Beziehung noch einmal, was ihm anschließend eine Mahnung wegen privater Telefonate einbringt. Da fragt man sich zurecht: Gibt es Leben da draußen? Poesie und Komik gibt es immerhin und die eine oder andere Chance.

Originaltitel: LA FACE CACHÉE DE LA LUNE

Kanada 2004, 105 min
Verleih: Flax Film

Genre: Poesie, Tragikomödie

Darsteller: Robert Lepage, Anne-Maire Cadieux, Marco Poulin

Regie: Robert Lepage

Kinostart: 10.08.06

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...