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Die Unerzogenen

Ein Kind erzieht sich selbst

Am Anfang eine Szene mit vertrauter Rollenverteilung: Die Mutter schneidet der Tochter die Haare. Doch irgend etwas stimmt nicht. Zu hastig und grob hantiert Mama Lily mit der Schere. Ein ausdrucksstarker Einstieg in ein gestörtes Eltern-Kind-Verhältnis, von dem uns Regisseurin Pia Marais in ihrem Langfilmdebüt erzählt.

Wenn andere Teenager über die Spießigkeit ihrer Eltern herziehen, wünscht sich Lilys Tochter Stevie an deren Stelle. Ihre "Erzieher" sind verlotterte, in Europa umherstreunende Althippies, die aus dem Sumpf der Richtungslosigkeit nicht mehr rauszukommen scheinen. Vater Axel hat gerade eine längere Haftstrafe wegen Dealens verbüßt, zeigt aber keinerlei Bestreben nach Besserung. Im Schlepptau der Kleinfamilie sind immer alte Freunde von Axel und Lily, Kiffen, Saufen und Koksen gehören zum Alltag. Stevie sucht verzweifelt Anschluß bei Gleichaltrigen und schämt sich so für ihre Eltern, daß sie ihre neuen Bekanntschaften stets anlügt, was ihre Familie angeht.

Marais schafft es, Stevies Sorgen sensibel zu erzählen, ohne den Zeigefinger gegen die Eltern zu erheben. Daß das maßlose Sich-treiben-lassen von Lily, Axel und ihren Kumpanen zu nichts Gutem führt, versteht sich von selbst. Ohne platte Psychologisierungen zu gebrauchen, bringt die Filmemacherin einem auch die Charaktere der titelgebenden Erwachsenen näher. Unterstützt wird Marais dabei von den hervorragenden Leistungen der Eltern-Darsteller Pascal Schiller und Birol Ünel.

Die Kamera findet immer wieder eindringliche, stimmungsvolle Bilder für die komplexen Konflikte der aus dem Rahmen fallenden Familie. Bei den Dialogen geht es da schon zwiespältiger zu: Mal treffen die Zeilen emotional ins Schwarze, mal wirkt das Gesprochene etwas aufgesetzt. Letzteres kann man auch dem Ende vorwerfen, das die heraufbeschworene Konfliktlösung ziemlich forciert. Zu Gratulieren ist den Machern aber in jedem Fall zur Besetzung von Ceci Chuh als Stevie. Deren Blicke sagen meist mehr als jeder Satz es könnte. Sie gibt der sensiblen Schilderung eines erzwungen schnellen Erwachsenwerdens die notwendige Glaubwürdigkeit und vermittelt überzeugend, wie frustrierend es ist, wenn einem als Teenager das Rebellieren genommen wird.

D 2007, 95 min
Verleih: Real Fiction

Genre: Drama, Erwachsenwerden

Darsteller: Ceci Chuh, Pascal Schiller, Birol Ünel, Georg Friedrich, Joseph Malerbia

Regie: Pia Marais

Kinostart: 10.01.08

[ Paul Salisbury ] Paul mag vor allem Filme, die von einem Genre ausgehen und bei etwas Neuem ankommen. Dabei steht er vor allem auf Gangsterfilme, Western, Satire und Thriller, gern aus der Hand von Billy Wilder, Sam Peckinpah, Steven Soderbergh, Jim Jarmusch, den Coen-Brüdern oder Paul Thomas Anderson. Zu Pauls All-Time-Favs gehören DIE GLORREICHEN SIEBEN, TAXI DRIVER, ASPHALT COWBOY, SUNSET BOULEVARD, POINT BLANK ...