Originaltitel: THE DAWN WALL

USA 2018, 100 min
FSK 6
Verleih: Red Bull Media House

Genre: Dokumentation, Biographie, Sport

Regie: Josh Lowell, Peter Mortimer

Kinostart: 04.10.18

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Durch die Wand

Seelenstriptease am Hang

Klar, auf dem Spitzenplatz dessen, was uns umtreibt, prangt diese Frage nicht (dort schmerzt die Qual, daß sich nicht jedes andere Individuum immer so verhält, wie man selbst es täte). Aber irgendwo unter den Top 100 könnte sie auftauchen: Warum betreiben Menschen Extremsportarten?!

Die übliche Doku gerät zur Beantwortung gern ins Palavern, feuert Worthülsen über Freiheit, Adrenalinkick und ähnliches Kopf-in-den-Wolken-Geschwafel ab. Selbiges erwartete man auch von DURCH DIE WAND – und irrte. Beginnend beim Protagonisten: Tommy Caldwell heißt der, ein eher schmächtiger (oder doch drahtiger?) Typ, zurückhaltend, nie Mister Maulaufreißer. Trotzdem zeigt schon ein kurzes Ansehen, daß was in jenem Manne brennt. Vorerst der Wunsch, die Dawn Wall zu erklettern – 914 Meter hoch, 100 Millionen Jahre alt, praktisch senkrecht, von Winden mit Stärken bis knapp 130 km/h umpfiffen und daher unbezwingbar. Bislang. Eigentlich. Denn wenn sich Tommy was vornimmt, zieht er’s halt durch. Obwohl ihm wichtiges Werkzeug fehlt, konkret ein Finger …

Der Höllentrip beginnt. 19 Tage lang wird an der lebensfeindlichen Wand gehangen, geschlafen, gegessen, gelitten, abgestürzt, gebrüllt und gesprungen. Nochmals: gesprungen! Der spiegelglatte Granit weist Stellen auf, wo Stahl und Seil versagen, es reine Muskelkraft richten muß. Folgen im Saal: stockender Atem, Gänsehaut. Gedrückte Daumen und Anteilnahme.

Das hätte für einen wirklich spannenden Trip locker gereicht und bestens unterhalten, will allerdings Ultimatives schaffen, namentlich das „Weshalb?“ ergründen. Das heiße innere Lodern nennt Tommy schlicht „das Feuer in sich“; Familie, Freunde und Wegbegleiter kennen’s gut, jemand sinniert: „Wo liegt die Grenze zwischen Hingabe und Besessenheit?“ Bei Tommy gibt’s offenbar keine solche Trennung, wir üben uns in Ursachenforschung, hören von liebevollem väterlichen Drill, Verlust der ersten großen Liebe, ausgestandenen Traumata, darunter ein Mord aus Notwehr.

Hinter den faszinierenden, ganz positiv gemeint spektakulären Bildern ruht eine erstaunlich komplexe Charakterstudie voller Blicke in Abgründe verschiedener Arten. Letztlich die tragfähige Grundlage dafür, gegen Ende, bei Erreichen des winzigen Wino Tower, nicht nur – wie bei mehr oder weniger vergleichbaren Erfolgsgeschichten – recht mittelmäßig beeindruckt, sondern wahrhaftig berührt zu sein.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...