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Falscher Bekenner

Bestechendes Porträt eines Außenseiters

Täglich eine Bewerbung. Das ist Armins Deal mit seinen Eltern. Doch einen Sinn kann der Realschulabgänger darin nicht entdecken. Die Vorstellungsgespräche, zu denen er eingeladen wird, sind entwürdigende Erfahrungen des Scheiterns und der Selbstverleugnung. So verschließt er sich gegenüber seiner Umwelt und findet keinen Ausweg aus der behüteten Vorstadtwelt mit einer fast schon zu fürsorglichen Mutter, einem Vater, der seine wahren Talente ignoriert, und zwei älteren Brüdern, die alle denkbaren Herausforderungen schon vorbildhaft bestanden haben. Dazu noch eine aussichtslose Schwärmerei. Als er eines Nachts einen Toten in dessen verunglücktem Wagen entdeckt, schreibt er am nächsten Tag einen anonymen Bekennerbrief. Und endlich scheint man ihn wahrzunehmen. Doch die Wirkung verpufft, und Armin muß nachlegen.

Das tut er allerdings sehr dezent. Christoph Hochhäusler erzählt alles, was aus dem Film einen Thriller hätte machen können, mit größter Beiläufigkeit. Wie in MILCHWALD, einer RoadMovie-Version von Hänsel und Gretel, neigt er eher zum Understatement und findet seine Spannung woanders, nämlich gerade in den unaufgelösten Widersprüchen des Films. Armins konkrete Handlungsmotive werden nie offengelegt, trotzdem sind wir so nah dran an ihm, wie möglich. Das ist nicht zuletzt dem talentierten jungen Hauptdarsteller Constantin von Jascheroff zu verdanken. Es zeigt sich aber auch, daß eine bruchstückhafte Geschichte kein Hindernis für eine präzise Inszenierung ist.

Einfühlsam führen Hochhäusler und Ensemble in den Mikrokosmos der Familie ein und schaffen neben einer ordentlichen Beklemmung auch Raum für Humor, etwa wenn der älteste Bruder mit dem antriebslosen Armin ein absurdes Bewerbungstraining im Wohnzimmer veranstaltet. Der Familienrealismus hat jedoch eine Hintertür zu Armins Innenleben.

Während die eher spröde Kamera eine Art Cinéma Verité vorstellt, verschmelzen Wirklichkeit und Traumwelt zum Teil unauflösbar miteinander. Gerade hier erlaubt sich Hochhäusler den Luxus, nachdrücklich zu irritieren. Neuer deutscher Autorenfilm vom Feinsten.

D 2005, 94 min
Verleih: Piffl

Genre: Psycho, Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Constantin von Jascheroff, Manfred Zapatka, Victoria Traumansdorff, Devid Striesow

Regie: Christoph Hochhäusler

Kinostart: 18.05.06

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...