Noch keine Bewertung

Fremde Haut

Vom Iran in die schwäbische Provinz

Dolmetscherin Fariba droht in ihrem Heimatland, dem Iran, die Todesstrafe, weil ihr lesbisches Verhältnis entdeckt wurde. Sie flieht nach Deutschland, wo ihr Asylantrag jedoch abgelehnt wird und die Abschiebung droht. Der Selbstmord eines Landsmannes eröffnet ihr einen Ausweg aus der verzweifelten Situation: Fariba nimmt dessen Identität an, erhält als Siamak Mustafai eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung und landet in einem Übergangsheim in der schwäbischen Provinz. Um sich einen Paß kaufen zu können, arbeitet sie illegal in einer Sauerkrautfabrik und lernt dort eine junge Kollegin kennen, die Gefallen an dem seltsamen Fremden findet É

Angelina Macarrone, die gemeinsam mit Kamerafrau Judith Kaufmann auch das Drehbuch schrieb, inszenierte mit FREMDE HAUT ein unglaubliches Schicksal, daß auf verschiedene Themenfelder verweist. So geht es ihr um Identitätssuche, um Asylrecht in Deutschland und um die Frage, was "männlich" ist und was "weiblich". Macarrone ist um Genauigkeit bemüht in ihrer Erzählung und um Glaubhaftigkeit. Bewußt setzt sie auf den Reiz der in der Umkehrung liegt: So muß ihre Protagonistin, die wegen ihrer Sexualität alles verloren hat, in eine männliche Rolle schlüpfen, findet ausgerechnet in dieser eine neue Liebe und sieht erneut ihre Existenz gefährdet. Sie, die kultivierte Großstädterin, muß aber auch den Wechsel von der lebendigen Metropole Teheran in ein süddeutsches Kaff verkraften, was es zusätzlich erschwert, ihren Platz im Leben neu zu finden. Auf Szenen großer Intensität, getragen vor allem durch die beeindruckende Leistung Jasmin Tabatabais in der Rolle der Fariba, folgen andere, die schwächer sind. Dort wo der Film Klischees bewußt unterlaufen will, wo er sich unbedingt entfernen will von Schwarz-Weiß-Malerei, wird er zuweilen befremdlich komisch, fast grotesk. Da ist ein Grenzbeamter ein ganz netter Kerl, der eben nur seine Pflicht tut, beim Rätselraten um Hilfe bittet und sich dann doch mit Geld schmieren läßt. Und eine Mitarbeiterin im Asylantenheim tröstet Neuankömmlinge mit der Bemerkung "Es ist ja nicht für immer!" über katastrophale Zustände hinweg.

Die sonst so sensible Betrachtung eines Menschen, der nicht nur überleben, sondern leben will, leidet vielleicht an der Fülle der thematisierten Probleme - denkwürdig und sehenswert ist sie dennoch.

D/Ö 2005, 97 min
Verleih: Ventura

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Jasmin Tabatabai, Anneke Kim Sarnau, Hinnerk Schönemann

Regie: Angelina Macarrone

Kinostart: 03.11.05

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.