D/Belgien/Luxemburg/Tschechien 2019, 86 min
FSK 6
Verleih: Weltkino

Genre: Animation, Historie, Abenteuer

Regie: Ralf Kukula, Matthias Bruhn

Kinostart: 10.10.19

11 Bewertungen

Fritzi – Eine Wendewundergeschichte

Historie erzählt – mit leisem Humor und ohne Zeigefinger

Was war die DDR eigentlich für ein Land, und warum ist dieser längst untergegangene Staat für viele Menschen heute noch so präsent? Kindern solche Fragen zu erklären, bringt Erwachsene ganz schön ins Schwitzen. Müssen wir doch nicht nur einen zeitlichen Abstand von über 30 Jahren überwinden, sondern auch den radikalen Wechsel aller Lebensumstände schildern. „Wie, Ihr konntet damals nicht nach Italien fahren? Wieso waren Bananen etwas Besonderes? Und warum durfte man in der Schule nicht alles erzählen, worüber zu Hause geredet wurde?“ ...

Da ist es ein wahrer Glücksfall, daß mit FRITZI – EINE WENDEWUNDERGESCHICHTE nun pünktlich zum Mauerfall-Jubiläum ein Film ins Kino nimmt, der zwar nicht alle Fragen klärt, aber komplexe historische Zusammenhänge rund um die Wendezeit in eine kindgerechte Geschichte verpackt und so emotional nachfühlbar macht. Und das ohne grobe Vereinfachungen und pädagogischen Zeigefinger, dafür aber mit viel Herz, Witz und atmosphärisch dichten Bildern. 

Am liebsten spielt die 12jährige Fritzi mit ihrer besten Freundin Sophie und deren Hund Sputnik in einem Baumhaus im Hof ihres großen Mietshauses in Leipzig. Ihre heile Welt bekommt Risse, als Sophie nicht wie erwartet aus dem Sommerurlaub in Ungarn zurückkommt. Schließlich ist doch Sputnik über die Ferien bei Fritzi geblieben, und die Freundin würde niemals das geliebte Tier zurücklassen.

Doch es ist das Jahr 1989, und das aufgeweckte Mädchen erkennt bald, daß viele Menschen die DDR verlassen wollen. Ihre Eltern haben deswegen Meinungsverschiedenheiten, und in der Schule tut die linientreue Lehrerin Frau Liesegang so, als sei alles wie immer. Fritzi aber kommen immer mehr Zweifel. 

Dabei hat sie vor allem ein Ziel: Sputnik zurück zu Sophie zu bringen. Es kann doch nicht sein, daß sie die Freundin erst in ein paar Jahren wiedersehen soll – wenn überhaupt. Zusammen mit ihrem unangepaßten Klassenkameraden Bela macht Fritzi sich bei einem Schulausflug auf zur schwer gesicherten innerdeutschen Grenze und gerät darüber in Verwicklungen, die nicht nur sie selbst, sondern ihre ganze Familie gefährden. 

Solche spannungsgeladenen Szenen werden mit leisem Humor und mitunter auch mit einer Prise Wunder aufgefangen. Anschaulich und differenziert zeigt der Film die Atmosphäre in den letzten Monaten vor dem Mauerfall: die Zerrissenheit der Erwachsenen zwischen Gehen oder Bleiben, das Anwachsen der Zweifel, die ständige Überwachung und Indoktrinierung der DDR-Bürger, aber auch ihren Mut, sich gegen die Staatsmacht aufzulehnen. Und er verschweigt eben nicht, daß es im Osten auch einen ganz normalen Alltag gab.

Die farbenfrohen Zeichnungen illustrieren detailgenau Fritzis Lebensumfeld, von den bröckelnden Leipziger Hausfassaden, der Klassenzimmereinrichtung bis zum Poster über ihrem Bett. Die Animationen erlauben eine Pointierung der Figuren und Verdichtung der Ereignisse, wie sie im Realfilm nur schwer zu erreichen sind. Darin liegt eine ganz eigene künstlerische Qualität. Überhaupt widerlegt FRITZI das hierzulande leider noch immer verbreitete Vorurteil, daß Animationsfilme „Kinderkram“ seien. Vielmehr ist es eine hohe Kunst, einen Film zu machen, der Kinder und Erwachsene anspricht und darüber hinaus Wissensvermittlung mit Unterhaltung verbindet.

Eine noch größere Seltenheit ist es, wenn Animationsfilme aus mitteldeutscher Produktion ihren Weg in die Kinos finden. Ko-Regisseur Ralf Kukula ist gleichzeitig Geschäftsführer von Balance Film, einer Animations- und Dokumentarfilmschmiede aus Dresden. Als ihm vor rund zehn Jahren das Kinderbuch „Fritzi war dabei“ von Hanna Schott in die Hände fiel, war die Idee geboren, daraus einen Film zu machen. Und so schuf der Dresdner einen Leipzig-Film. Vergangene Stadtbilder und Straßenzüge leben in FRITZI wieder auf. Es macht Spaß, sie mit heutigen Leipziger Ansichten abzugleichen. Wenn schließlich der berühmte Marsch um den Ring seinen Lauf nimmt, stellt sich Gänsehaut ein – egal, ob man nun 1989 dabei war oder nicht.

Überhaupt tut es gut, sich die damalige Euphorie des Anfangs ins Gedächtnis zu rufen, wenn Ost und West mal wieder übereinander meckern statt miteinander zu reden.

[ Dörthe Gromes ]