Originaltitel: GINGER & ROSA

GB/DK/Kanada/Kroatien 2012, 92 min
FSK 12
Verleih: Concorde

Genre: Drama, Erwachsenwerden, Polit

Darsteller: Elle Fanning, Alice Englert, Alessandro Nivola, Christina Hendricks, Timothy Spall, Annette Bening, Oliver Platt

Regie: Sally Potter

Kinostart: 11.04.13

2 Bewertungen

Ginger & Rosa

Mädchensein in einer Zeit der Angst und des Verrats

Eigentlich sind sie unzertrennlich. Sie erzählen sich alles, sie steigen mit Jeans in die Wanne, sie lieben melancholischen Jazz, sie schauen einander zu beim Küssen mit unreifen Jungs, sie bügeln sich die Haare, sie teilen die Angst vor einem atomaren Totalschlag. Eigentlich sind Ginger und Rosa die besten Freundinnen, unzertrennlich, einander verstehend und ergänzend. Eigentlich. Denn plötzlich ist alles anders: Während Gingers Furcht im Jahre 1962 beim immer heftigeren Zähnefletschen zwischen den USA und der Sowjetunion auf dem Höhepunkt der Kubakrise eine regelrecht körperliche Angst wird, sie sich in T.S. Eliots Gedichte flüchtet und der Bewegung gegen einen atomaren Krieg anschließt, während das Mädchen die zunehmende Entfremdung ihrer Eltern erlebt und sich Kundgebungen anschließt, um etwas gegen das drohende Ende der Welt zu unternehmen, und auch, um ihren stärker werdenden privaten Schmerz zu ersticken, geht Rosa in Restaurants und ins Bett. Mit Gingers Vater.

Sally Potters neuester Film ist ein rundum meisterliches Werk, keinesfalls „nur“ eins über das Erwachsenwerden in besonderen Umständen. Eigentlich läßt sich ihr komplexes, in nachhaltig wirkenden Bildern fein montierter Film überhaupt nicht in die unzähligen Coming Of Age-Geschichten einreihen, weil es hier um mehr als pubertären Weltschmerz, das Politischsein als Pose und gar Freudsche Folgegänge geht. Natürlich laboriert Rosa am sich früh aus dem Staub gemachten Vater, ist sie zu jung und zu Ich-bezogen, um ihrer Mutter beim Erziehen der kleinen Geschwister zu dienen, und natürlich sind Gingers Ängste gewissermaßen empirisch normal und erklärbar. Und doch wäre das ein zu knapper Sprung, denn Sally Potter hat ihre Geschichte nicht umsonst 1962 angesiedelt. Ihr glückt es, die verrückte Lebenslage der Mädchen, ihrer bruchstückhaften Familien glaubhaft an die Situation einer echten Bedrohung anzudocken. Wer sich von den Älteren erinnert und von den Jüngeren belesen hat, weiß, daß die politische Situation eben nicht nur politbetriebliches Säbelrasseln war, ein nuklearer Schlag hätte allein in Europa mit einem Mal 120 Millionen Todesopfer gefordert. Wer seine Bildung aus dem Kino hat, was ja per se nicht das Schlechteste ist, der erinnert sich eindrücklich an den Film THIRTEEN DAYS. Diese reale Bedrohung also wird hier nun an einen großen, perfiden Verrat gekoppelt. Ein Verrat durch Gingers beste Freundin und durch ihren eigenen Vater.

Wenn in einer Schlüsselszene Elle Fanning unter Tränen die Wahrheit kaum herauslassen kann, aus Angst zu explodieren, dann glaubt man ihr, was auch an Fannings atemberaubendem Spiel liegt. Was den Rhythmus des Films, dieses Hineinhorchen in Jugend und deren Unsicherheiten angeht, da wird auf Augenhöhe mit Bertoluccis DIE TRÄUMER gespielt, ohne dessen erotische Aufgeladenheit natürlich. Eigentlich aber zieht GINGER & ROSA an diesem ebenso meisterlichen Film sogar vorbei, weil er schärfer erzählt von einer Zeit der Angst, des Verrats und der erbärmlichen Selbstbezogenheit der Väter.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.