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Hasret – Sehnsucht

Istanbul, unendliche Stadt

Ein Filmemacher kommt mit seinem Team im Auftrag eines Fernsehsenders nach Istanbul, um einen Dokfilm über die berühmte Stadt zu machen. Sie beginnen also, Sehenswürdigkeiten und pittoreske Stadtviertel mit ihrem pulsierenden Nachtleben abzufilmen. Doch immer wieder weicht der Regisseur vom offiziellen Drehplan ab, um seinen eigenen Interessen nachzugehen und „sein“ Istanbul abseits der üblichen Touristenrouten mit der Kamera einzufangen. Irgendwann hat sein Team keine Lust mehr auf derlei Eskapaden und überläßt den Regisseur sich selbst. Der gleitet daraufhin völlig auf die „Nachtseite“ der Stadt mit ihren Katzen, Friedhöfen, Tangobars und verlassenen Häusern ab.

HASRET – SEHNSUCHT des britischen Weltenwanderers Ben Hopkins verfolgt einen anderen Ansatz als die traditionellen Dokumentarfilme, die sich streng an Fakten halten oder vorgeben, dies zu tun. Denn sind nicht auch Träume, Imaginationen, Eindrücke ebenso Teil der Realität wie die vermeintlich „harten“ Fakten? Hopkins’ Filmessay ist ein sehr persönliches und zutiefst melancholisches Porträt dieser vielschichtigen Stadt, das virtuos die Grenzen zwischen „dokumentarisch“ und „fiktional“ verschwimmen läßt. Hopkins gibt dabei den Reiseleiter in die Gegenwart und Vergangenheit Istanbuls. Sein Blick heftet sich auf Abseitiges, das nicht zum propagierten Image der Stadt paßt.

So werden viele der alten Stadtviertel derzeit plattgemacht, um Platz für immer neue Hochglanzimmobilien zu schaffen. Die ursprünglichen Bewohner werden in seelenlose Neubausiedlungen weit draußen verfrachtet, wo die meisten es nicht lange aushalten. In diesem Zusammenhang werden natürlich auch die Gezi-Park-Proteste thematisiert. Der anhaltende Zustrom von Migranten aus Syrien sorgt zusätzlich für sozialen Sprengstoff. Hopkins nennt diese Illegalen „Geister“, weil sie für die Stadtoberen offiziell gar nicht existieren.

Andere Geister sind die omnipräsenten Katzen, die Hopkins als Gottheiten einer uralten Katzenzivilisation vorstellt, die lange vor den Menschen existiert haben. Sie repräsentieren die dunkle Seite der Stadt, das Werden und Vergehen unzähliger Generationen, die alle ihre Spuren hinterlassen haben. Dieses poetische Vorgehen der Verschmelzung von Realität und Traum enthüllt eine tiefergehende Wahrheit, als es die „pure“ Dokumentation allein vermag. Als Zuschauer hat man am Ende das Gefühl, die Stadt zu kennen, selbst wenn man selbst noch nie dort war.

D/Türkei 2015, 82 min
FSK 0
Verleih: Piffl

Genre: Dokumentation

Regie: Ben Hopkins

Kinostart: 26.11.15

[ Dörthe Gromes ]