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Haus ohne Dach

Ein Haufen Liebe, Angst, Schmerz und Enttäuschung

Die deutsch-kurdische Regisseurin Soleen Yusef siedelt ihren aufwühlenden Debütfilm, der gleichzeitig ihr Abschlußfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg ist, im Spannungsfeld dreier wichtiger politischer Ereignisse an. Eingangs wohnen wir dem Sturz der Saddam-Statue in Bagdad 2003 bei, die die Geschwister Jan, Liya und Alan gemeinsam mit ihrer Mutter Gülen in Deutschland am Fernseher verfolgen. Dann führt die Filmemacherin an die Folgen der „Anfal-Operation“ heran, die irakische Bezeichnung für den Genozid an den Kurden und anderen ethnischen und religiösen Minderheiten, die das Saddam-Regime strategisch betrieb. Der Film endet mit der Eroberung Mossuls durch den Islamischen Staat 2014 und mit den schockierenden Fernsehbildern aus Sindschar. In die nordirakische Region war der IS 2014 eingedrungen und ermordete tausende Jesiden, versklavte und vergewaltigte Frauen und Kinder. 

Yusefs erzählt ihre emotionsgeladene Familiengeschichte aus der Perspektive der drei Geschwister, die in Deutschland aufgewachsen sind und sich mehr oder minder auch hier verwurzelt fühlen und mit ihrer kurdischen Familie und deren Geschichte zunächst wenig anfangen können. Gülen hatte nach dem Sturz Saddams beschlossen, nach Kurdistan zurückzukehren. Aber nur Jan, der älteste Sohn, war ihr gefolgt. 

Liya, von Herzen Musikerin und Alan, klassischer Lebenskünstler, fahren erst in ihre Heimat, als sie die Nachricht vom Tod ihrer Mutter überrascht. Gülens letzter Wunsch ist es, neben dem Vater, der im Irakkrieg umkam, beerdigt zu werden. Ihr Bruder, das Familienoberhaupt Ferhad, aber stellt sich dagegen. Also kidnappen die Geschwister den Sarg. Dieser wird zum Symbol des gemeinsamen Erbes, welches die Geschwister zu schultern haben. Es wiegt schwer. 

Eine wilde Jagd durch karge kurdische Landschaften beginnt, bei der tragische Familiengeheimnisse gehoben werden und alte Wunden zwischen den ungleichen Geschwistern aufbrechen. Sinnbildlich läßt Yusef die drei jeweils einen „Fremden“ als Bezugsperson finden, der sie ihrer eigenen Identität näher führt, bevor sie sich am Grab ihrer Mutter wieder begegnen. Sie sind an ihren Erfahrungen gewachsen, erwacht. Und mit ihnen der Zuschauer, der realisiert, daß hier Geschichte verhandelt wird, die uns in Deutschland hautnah betrifft. Die Trauergemeinde besteht aus einem alten Schäfer, einem Soldaten, einem Jungen von der Tankstelle und einem singenden Taxifahrer.

D/Kurdistan/Katar 2016, 117 min
FSK 12
Verleih: Missing Films

Genre: Roadmovie, Drama

Darsteller: Murat Seven, Sasun Sayan, Mina Ö. Sagdic, Wedad Sabri

Regie: Soleen Yusuf

Kinostart: 31.08.17

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...