Originaltitel: HOLY SPIDER

D/DK/F/S 2022, 119 min
FSK 16
Verleih: Alamode

Genre: Thriller, Drama

Darsteller: Mehdi Bajestani, Zar Amir Ebrahimi, Arash Ashtiani

Regie: Ali Abbasi

Kinostart: 12.01.23

Noch keine Bewertung

Holy Spider

Im Namen Gottes

Nachdem er schon mit dem Fantasy-Horror-Drama BORDER zu internationaler Bekanntheit gelangte, wurde Regisseur Ali Abbasi mit seinem neuesten Film in den diesjährigen Wettbewerb nach Cannes eingeladen. Der True-Crime-Thriller beruht auf dem Kriminalfall des Spinnenmörders Saeed Hanaei, der in der heiligen Stadt Maschhad, im Nordosten des Iran, Anfang der Nuller-Jahre 16 Prostituierte ermordete. Vor den aktuellen Protesten in Abbasis Heimatland entfaltet die Serienmördergeschichte noch einmal eine ganz andere Wucht. Denn lassen die präzise gezeigten Morde, die der religiöse Fanatiker Saeed mit großer Gelassenheit ausführt, erstarren, so ist es doch vor allem der von Abbasi ganz offensichtlich, in vielen Sequenzen aber auch unterschwellig dargestellte Frauenhaß, der schockt und Wut auslöst.

Diese tiefsitzende Wut ist es auch, die die junge Journalistin Rahimi verbissen an dem Fall dranbleiben läßt, obwohl sie selbst die Ignoranz der mit dem Fall beauftragten Kommissare ertragen muß. Sie versuchen, Rahimi und ihre bohrenden Forderungen nach Aufklärung wie eine lästige Fliege abzuwimmeln. Schlimmer noch: Die Tatsache, daß sie unverheiratet alleine reist, raucht und dazu noch ihre Meinung äußert, scheint auszureichen, sie als „loses“ Mädchen abzustempeln, die Mann sich nehmen kann, wenn Mann eben will.

Zar Amir Ebrahimi, die ihre Rolle mit intensiver Präsenz gestaltet und dafür auch in Cannes ausgezeichnet wurde, steht als Frau und Journalistin einer überbordenden Macht der Männer in Gestalt der Polizei, der geistlichen Würdenträger, aber auch der Sympathisanten gegenüber. Diese wird nur nicht ganz ausgespielt, weil die Regierung in Teheran es sich in Zeiten anstehender Wahlen nicht leisten kann, einen Serienmörder ungestraft davonkommen zu lassen. Die Meinung der Straße ist auf Seiten des Killers: Gefallene Mädchen, die in Sünde leben, haben es verdient zu sterben.

Abbasi geht bis an die Schmerzgrenze einem Menschenbild nach, das sich aus Misogynie und patriarchalen Strukturen speist und, so suggeriert er in der Schlußszene, von Generation zu Generation weitergegeben wird. Wenn der Kreislauf nicht unterbrochen wird. Dafür protestieren im Moment unglaublich mutige Menschen auf den Straßen Irans, geben ihr Leben für basale Menschenrechte. Abbasi zwingt die Zuschauer, genau hinzusehen, der Zufall will es, daß seine Fiktion drastisch von der aktuellen Realität überholt wurde.

[ Susanne Kim ] Susanne mag Filme, in denen nicht viel passiert, man aber trotzdem durch Beobachten alles erfahren kann. Zum Beispiel GREY GARDENS von den Maysles-Brüdern: Mutter Edith und Tochter Edie leben in einem zugewucherten Haus auf Long Island, dazu unzählige Katzen und ein jugendlicher Hausfreund. Edies exzentrische Performances werden Susanne als Bild immer im Kopf bleiben ...