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Honey Baby

Von Halle an der Saale hinab in den Hades

Mika Kaurismäki steht trotz der großartigen Musikdokumentation MORO NO BRASIL immer noch etwas im Schatten seines Bruders Aki. Ändert sich das mit HONEY BABY, einem Roadmovie, basierend auf dem antiken "Orpheus und Eurydike"-Mythos? Entsprechendes Potential zeigt dieses subtile Wunderwerk auf jeden Fall.

Orpheus ist müde geworden. In Gestalt des schon lange erfolglosen Sängers Tom erfreut er nicht mehr die Götter, sondern bringt bloß noch russische Grenzposten zum Weinen. In Kaliningrad soll er nämlich auftreten, an vergangene Zeiten als Star anknüpfen. Dort läuft Eurydike alias Natascha ihrem westlichen Bräutigam davon. Dieser schreitet wutschnaubend zur Verfolgung, weshalb die junge Frau Toms Schutz sucht, um unbehelligt nach St. Petersburg zu gelangen. Eine chaotische Reise beginnt, das Pärchen macht Station in Nachtclubs oder schließt sich einem Wanderzirkus an. Doch das Schicksal hat anderes vor ...

Osteuropa als Unterwelt? Man könnte entnervt den Kopf schütteln, wäre "Orpheus und Eurydike" nicht das vielleicht schönste Motiv griechischer Dichtung, dessen Zauber Kaurismäki adäquat einfängt. Aus cineastischer Sicht zwar zu stark auf den Effekt einzelner Szenen bauend – wenn beispielsweise Natascha ohne Motivation im Wasser tanzt – und somit bruchstückhaft, folgt er dennoch überzeugend dem Aufbau eines klassischen Dramas. Dabei spielen zwei stilistische "M" entscheidende Rollen: Ungeachtet allen lakonischen Humors umgibt HONEY BABY stets süße Melancholie, außerdem ist (natürlich) Musik omnipräsent. Ob beim Höhepunkt oder dem retardierenden Moment; immer dient ein eindrucksvoller Soundtrack zur Präzisierung von Entwicklungen.

Mit gemäßigtem Tempo fließt diese Geschichte der unausweichlichen Tragödie entgegen, welche ihren Schauplatz vorlagengerecht tatsächlich im etwas anderen Hades findet. Bis dato "bloß" gut unterhalten worden, fühlt man dann, wie unaufdringlich sich Tom und Natascha ins nun zersplitternde Zuschauerherz geschlichen haben. Großen Anteil daran trägt Hauptdarstellerin Irina Björklund: Ihr fast statuesk geformtes und dennoch aussagekräftiges Gesicht möchten wir bitte öfter sehen. Am besten in vielen weiteren Filmen von Mika Kaurismäki ...

Originaltitel: HONEY BABY

D/Finnland/Lettland/Rußland 2002-2004, 104 min
Verleih: Cinex

Genre: Liebe, Tragikomödie, Schräg

Darsteller: Henry Thomas, Irina Björklund, Helmut Berger, Bela B. Felsenheimer, Kai Wiesinger

Regie: Mika Kaurismäki

Kinostart: 26.01.06

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...