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Jonas

Feines Guerillastück über Haßfächer und Lehrerliebe

Es ist vielleicht eine romantische Idee, ganz sicher ein mißverstandenes Nostalgieklischee, daß sich jemand wirklich in die Schulzeit zurücksehnt. Kann schon sein, daß der Pfeiffer mit drei F das damals ernst gemeint hat, kann schon sein, daß es Leute gibt, in deren Leben nach der Schule das Aufregendste Betriebsfasching und Kollektivwichteln sind, aber das sind doch keine echten Gründe, daß man sich auf die Schulbank zurückträumt. Jonas gehört garantiert nicht zu denen, Christian Ulmen auch nicht.

Jonas ist durchgefallen, mehrmals, fast möchte man meinen, er ist geradezu von einer Ignoranz gegenüber dem Auffassen von Unterrichtsstoffen befallen. Und Ulmen hat erkannt, was für ein knackiges Potential in so ’ner Type steckt, die doch noch einmal alles geben will. Er erdachte sich dieses Szenario und machte einen herrlichen Film daraus, der deswegen so überzeugt, weil auf strengere Formen der Kinounterhaltung gepfiffen wurde, Christian Ulmen sich von geschickten Maskenbildnern gehörig verjüngen ließ, er zu Jonas wird, und sich die Gesamtschule „Paul Dessau“ im schönen Brandenburg auf das gewissermaßen dokumentarische Experiment einließ. Alle ziehen an einem Strick, Ulmen geht bei seinen Klassenkameraden tatsächlich als der Sitzenbleiber Jonas durch und amüsiert mit seinen schrägen Aktionen, seiner spontan entflammten Zuneigung für Frau Maschke, die souverän agierende Musiklehrerin, seine Lehrer will er am liebsten ständig mit „Deal?“ abklatschen – all das macht den Zuschauer vergessen, daß er „nur“ Teil eines bravourös unterhaltenden Experiments geworden ist. Und obwohl dieser Jonas eine scheinbar wurzellose Figur ohne jeden – vom Hängenbleiben mal abgesehen – sozialen Hintergrund ist, obwohl man sich durch seine zu Beginn autistisch anmutenden Züge vorerst ein wenig unbehaglich amüsiert, nimmt man ihn an, leidet mit ihm, wenn er über Logarithmen und punktsymmetrischen Hyperbeln schwitzt, schmunzelt man, wenn sich Jonas bei den Lehrern für den tollen Unterricht bedankt, Frau Maschke einen Kaffee und später eine Sektvesper kredenzt, man triumphiert, wenn er Lösungswege im Haßfach Mathe erkennt, und sympathisiert, wenn er aus schierer Prüfungsangst zum Megaphon greift.

Da wird das dokumentarisch Anmutende zum herzpochenden Guerillakino, da tritt bei aller Komik aber auch das Tiefgründige zutage: Schüler sein heißt auch immer profunden Ängsten, einem teils ungesunden Wettbewerb und ohnmächtigen bis ahnungslosen Lehrern ausgesetzt zu sein. Die autoritätsgeschwächten unter den Pädagogen sagen zu jeder Aufforderung „bitte“ und ernten verdiente Ignoranz, die Peinlichen klagen, daß die Schüler doch mal des Lehrers Rente erarbeiten sollen, und die Ethiklehrer kennen das Vaterunser nicht. Da ist JONAS neben aller jugendnahen Hipness durchaus ein interessantes Zeitdokument, das auch mal hinter die Kumpeletikette schaut. Da gibt es durchaus Momente, die an DIE KLASSE erinnern, selbst wenn JONAS vor allem natürlich komisch geriet. Was perfekt paßt, da Ulmens Stärken zweifellos im Improvisationshumor liegen.

Und nach diesem kurzweiligen, unterhaltsamen Performancekino geht man schon schmunzelnd aus dem Saal und weiß doch ganz genau, warum es nur gut war, als es einst für immer hieß: School’s Out ...

D 2011, 106 min
FSK 6
Verleih: Delphi

Genre: Experimentalfilm

Darsteller: Christian Ulmen, Schüler und Lehrer der Gesamtschule „Paul Dessau“ Zeuthen

Regie: Robert Wilde

Kinostart: 05.01.12

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.