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Koktebel

Auf dem Weg ans Schwarze Meer

Die jungen Russen erinnern sich ihrer Tradition des Geschichtenerzählens, sie können Tarkowski und Klimow nicht vergessen, und sie wollen es auch gar nicht. Sehr klug tun sie daran, deren meist nüchternen, oft ansatzphilosophischen und poetischen, manchmal in seiner Symbolik auch irritierenden Erzählstil in das moderne Kino zu transferieren. Daß dies niemals Plagiat, dafür immer purer Zugewinn für den heutigen Kinogänger bedeutet, bewies schon eindrucksvoll DIE RÜCKKEHR von Andrej Swjaginzew.

Das nun vorliegende Spielfilmdebüt der gerade mal 32jährigen Regisseure steht diesem Kinopoem in seiner archaischen Bildsprache und dem der Echtheit verpflichteten Erzählduktus in gar nichts nach. Wir sehen einen Rumtreiber mit seinem halbwüchsigen Sohn. Der Vater wurde für einige Zeit nach dem frühen Tod seiner Frau zum Trinker, der Junge war noch auf keiner anderen Schule als der des Lebens. Es soll zur Schwester des Mannes gehen, die wohnt in Koktebel am Schwarzen Meer, genau bis dahin reichen die Träume des Jungen, der sich zugleich nach grenzenloser Freiheit und wohliger Geborgenheit sehnt. All diese Widersprüche in einem 11jährigen Jungen, die sich dann in der Pubertät hin zum schieren Chaos Bahn brechen. Die Odyssee führt Vater und Sohn durch Herbstlandschaften, zu Gelegenheitsarbeiten, zu Menschen, die es gut mit ihnen meinen, und welchen, die weniger gute Absichten haben. Als der Junge seinen Vater beinahe wieder an den Suff und Unverstand verliert, wächst er über sich hinaus. Er kommt allein ans Schwarze Meer. Vorerst.

Wieder einmal bündelt sich alle Sehnsucht dieser Welt im Fokus auf die Weite des Meeres. Sehr ruhig, teils lethargisch wird vom Erwachen erzählt, von der Sehnsucht nach einem Anker im Leben, zugleich von Vertrauensbruch, Menschbleiben und Zusammenhalt. Das ist wunderbar schwermütig, das ist echt russisch - wenn man so will - und es ist vor allem bewegend erzählt. Nur einmal sieht man den traurigen Jungen lachen. Wegen einer Albernheit, der Verrat auf den Fuß folgt. Daß die Reise trotzdem und gerade danach mit aller Kraft weitergeht, zeugt von beeindruckender Zähigkeit, dem Umgang der Russen mit Melancholie und vom Erzähltalent der neuen Regisseursgeneration.

Originaltitel: KOKTEBEL

Rußland 2003, 105 min
Verleih: Kinemathek

Genre: Drama, Erwachsenwerden, Roadmovie

Darsteller: Gleb Puskepalis, Igor Tschernewitsch

Regie: Boris Chlebnikow, Alexej Popogrebskij

Kinostart: 28.10.04

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.