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La vida loca

Vom Leben mit der Gewalt

Vielleicht muß es erwähnt werden, also bringen wir es hinter uns. Ja, ein furchtbares Ereignis überschattet den vorliegenden Film: Während der Dreharbeiten zur Fortsetzung wurde Regisseur Christian Poveda 2009 getötet. Wahrscheinlich hatte ihn die Realität, welche er aufzeigen wollte, auf grausame Weise eingeholt. Aber nein, es wäre überhaupt nicht berechtigt, würde sein Vermächtnis nur deswegen Aufmerksamkeit erlangen, obwohl bereits im Vorspann auf die Tragödie hingewiesen wird. Dazu gibt es noch den Hinweis, gleich „kein Unterhaltungskino“ zu sehen, was unnötig ist, denn LA VIDA LOCA spricht auch ohne Holzhammerwarnungen immer für sich.

Im Zentrum steht die Frage, warum sich bereits 12jährige nicht nur Jugendbanden anschließen, sondern auch bereit sind, ihr Leben für einen derartigen Zusammenhalt zu opfern. Konkret bekämpfen sich in San Salvador zwei Gangs, welche insgesamt etwa 14.000 Personen aller Altersgruppen vereinen. Nun könnte man pauschal behaupten, die Banden fungierten als Familienersatz – doch obwohl das sicher teils stimmt, macht es sich dieser genaue Blick auf gesellschaftliche Zustände zum Glück nie so leicht, darin die ultimative Antwort zu finden. Weil es eine solche nicht gibt.

Anhand von Einzelschicksalen wird das Geflecht aus Haß und Mord, aber auch Sehnsucht und Alltag sukzessive begreifbar. Natürlich erlebt man da manchen Jugendlichen, für den Gewalt ein Mittel ist, sein Leben zu führen. Doch auf der anderen Seite steht dann wieder die junge Frau, welche ihrem Kind bloß eine gute Mutter sein und das durch Kugeln entstellte Gesicht richten lassen möchte, oder Mitglieder, die Arbeitsprogramme ins Leben rufen, um dem tödlichen Kreislauf zu entkommen. Einige von ihnen erleben das Filmende nicht, wir müssen zusehen, wie sie vor laufender Kamera zu Grabe getragen werden. Und sind betroffen, da hier keine namenlosen Personen weit weg versterben, sondern umfassend porträtierte echte Menschen.

So schafft es Poveda, in die wunde Seele eines Landes einzutauchen, ohne sich in politischen Floskeln oder Simplifizierungen zu ergehen. Wenn irgendwann die Worte „Ein Ende ist nicht in Sicht“ fallen, klingt kein übliches Betroffenheitsgesülze durch, hier spricht jemand die desillusionierte Wahrheit. Nein, eine Antwort kann es wirklich kaum geben. Aber genau diese Ratlosigkeit macht LA VIDA LOCA so aufwühlend.

Originaltitel: LA VIDA LOCA

El Salvador/F 2008, 90 min
Verleih: Ascot

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Christian Poveda
Drehbuch: Christian Poveda

Kinostart: 25.03.10

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...