1 Bewertung

Löwenkäfig

Ungeschönter Blick auf die Liebe einer Mutter

Julia wacht auf und sieht sich mit dem Grauen konfrontiert: Ihr Liebhaber Nahuel ist tot, der gemeinsame Mitbewohner Ramiro schwer verletzt. Die Polizei identifiziert Julia als Täterin und verfrachtet sie ins argentinische Frauengefängnis, konkret den Trakt für Schwangere, denn Julia trägt ein Kind unter dem Herzen. Von Nahuel. Blond und bleich wirkt die potentielle Mörderin unter den anderen Insassinnen zwar vorerst wie ein Fremdkörper, lernt aber dennoch erstmals echte Zuneigung kennen, empfindet gar aufkeimende Liebe zur Mitgefangenen Marta. Was hilft, den Komplettverlust ihrer Privatsphäre zu ertragen.

Regisseur Pablo Trapero hat die recht schwierige Hauptrolle seiner Ehefrau Martina Gusman anvertraut und damit in jeder Hinsicht gewonnen. Obgleich Gusman fast immer wie in Trance spielt, eine Frau porträtiert, die sich in ihre eigene Welt zurückgezogen hat, stellt sie sich doch mit vollem Einsatz in den Dienst des Projektes. Wenn sie unvermittelt weint oder völlig die Selbstbeherrschung verliert, um dann sofort zurück in ihren schützenden Kokon zu kriechen, sind das große Szenen.

Es mag dabei irritieren, daß Julias ­(Un-)Schuld irgendwann nicht mehr im Raum steht, doch Trapero hat anderes im Sinn, weswegen sich das nominelle Ungeschick als kluger Kniff entpuppt. Irgendwann nach Geburt ihres Sohnes Tomás taucht nämlich Julias Mutter auf. Eine Frau, die nie einen Zugang zur Tochter fand und doch kein Monster ist, sondern eine emotional verzweifelte Seele, welche bloß das Beste möchte – vor allem für den Enkel, dessen Aufwachsen im Knast gar nicht in Frage kommt. Weshalb sie ihn nach einem Besuch kurzerhand in Freiheit behält. Und nun erwachen endlich Julias Lebensgeister, sie kämpft ...

Diese Schlacht zählt dann auch zum Bewegendsten, was man seit längerem erleben durfte. Hier bekriegen sich zwei Parteien aus Liebe zum Kind, ohne Rücksicht auf eigene Opfer, während Julia die Kraft schöpft, ein neues Leben zu beginnen – als Lehrerin ihrer neuen, ungebildeten Freundinnen, durch Martas Zuneigung, vor allem jedoch in der Mutterrolle.

Traperos Inszenierung verzichtet wohltuend auf Übertreibungen, sogar Musik, er legt den Film vorrangig in Gusmans charaktervolles Gesicht, immer wieder in Nahaufnahmen abgelichtet. Darin zu sehen: der Reifeprozeß einer Frau, welche niemals eine Chance hatte, diese aber nutzen will. Und wird.

Originaltitel: LEONERA

Argentinien/Südkorea/Brasilien 2008, 113 min
Verleih: MFA

Genre: Drama

Darsteller: Martina Gusman, Elli Medeiros, Rodrigo Santoro, Laura García, Tomás Plotinsky

Regie: Pablo Trapero

Kinostart: 23.07.09

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...