Originaltitel: MAY DECEMBER

USA 2023, 117 min
FSK 12
Verleih: Wild Bunch

Genre: Drama

Darsteller: Natalie Portman, Julianne Moore, Charles Melton

Regie: Todd Haynes

Kinostart: 30.05.24

5 Bewertungen

May December

Nach dem großen Gefühlsbeben

Die Redewendung „May December“ beschreibt eine Liebesbeziehung, die zwei deutlich unterschiedlich alte Menschen miteinander haben. Zwischen Gracie und Joe zum Beispiel beträgt die Altersdifferenz 23 Jahre. Ihrem Eheglück im gehobenen Mittelstand, Haus und Kinder inklusive, scheint das keinen Abbruch zu tun. Allerdings: Die Idylle ist fragil, hinter der Fassade lauern Erschütterungen. Denn zu Beginn ihrer Liebe war Gracie 36 und Joe 13. Und nicht nur das: Gracie war Lehrerin, Joe ihr Schüler. Die heikle, verbotene Beziehung kam ans Licht, brachte Gracie ins Gefängnis, aber die beiden nicht auseinander. Über zwei Jahrzehnte nach den damals auch medial entsprechend sensationsgierig aufbereiteten Ereignissen soll jetzt ein Film über diese gedreht werden. Und so erscheint bei Gracie und Joe die berühmte Schauspielerin Elisabeth. Zwecks Rollenstudiums und Einfühlens in Gracies Seelenleben.

In seinen zu Klassikern gewordenen Melodram-Meisterwerken DEM HIMMEL SO FERN und CAROL inszenierte Regisseur Todd Haynes, souverän den Gesetzen des Genres folgend, die „großen Gefühle“ als Konflikt zwischen wahrer Empfindung und Lebenslüge. Und somit zwischen dem Mut, sich zum einen zu bekennen wie auch der Angst davor, sich vom anderen zu befreien. In MAY DECEMBER ist das grundlegend anders. Denn das „eigentliche“ Drama, das Gracie und Joe durchlebten, ist ja lange schon vorbei. Was davon übriggeblieben ist, ist eine verdächtig ausgestellte Normalität. Und was in dieser wiederum wahre Empfindung oder nur Suggestion einer solchen ist, interessiert hier nicht einmal Elisabeth wirklich.

In MAY DECEMBER zeigt Haynes so nonchalant wie gnadenlos, wie Gefühle zur Manipulationsmasse verkommen und sich Trennlinien zwischen Wahrheit und Lüge verwischen. Zu seinen Melodramen formuliert MAY DECEMBER den Kontrapunkt. Nicht mehr die Erschütterung, sondern deren Nachbeben ist im Fokus. Und vielleicht muß man tatsächlich noch einmal DEM HIMMEL SO FERN oder CAROL sehen, um den fast schon perfiden, demontierenden Zug zu goutieren, mit dem Haynes jetzt aufwartet. Auch in seinem sarkastischen Blick, den er auf das Kino als Gefühlsmanipulationsmaschine wirft.

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.