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Mein kleines Kind

Intime Dokumentation

Ein Film mit dem Thema pränataler Diagnostik ist keine leichte Kost. MEIN KLEINES KIND von Katja Baumgarten mag noch mal schwieriger sein, da die Filmemacherin und Hebamme zugleich die Protagonistin ist. In der 21. Woche - mit ihrem vierten Kind schwanger - erfährt Katja Baumgarten, daß das Kind mißgebildet und nicht lebensfähig sein wird. Der Arzt sagt, eine Abtreibung wäre in diesem Fall zu empfehlen. Katja Baumgarten fällt eine andere Entscheidung. Auf dem Weg dahin, läßt sie sich von ihrer Freundin und Kamerafrau Gisela Tuchtenhagen begleiten. Am Ende sind es zwei unkonventionelle Entscheidungen, die Katja fällt. Sie wird ihr Kind zur Welt bringen - Geburt und Tod stehen am Anfang des Films als bewußter Verzicht auf naheliegende Spannungsdramaturgie - und sie wird ihr Kind zu Hause empfangen - jenseits der modernen Apparatemedizin und einer künstlichen Lebensverlängerung.

Eine große Stärke des Films liegt sicher darin, daß er keine Haltung vorgibt, sondern einen individuellen Weg nachzeichnet. Über weite Strecken ist er einer sensiblen und reflektierten Auseinandersetzung mit ethischen Werten und der selbstbestimmten Entscheidung über Leben und Tod verpflichtet. Baumgarten mischt eigene, auch aus dem Off erzählte Gedanken mit Impressionen von ihren Kindern, und sie berät sich vor der Kamera mit engsten Freunden. Verdichtet wird der Film anhand pulsierender Ultraschallbilder des Embryos und kommentierender Zwischentexte. Die Diagnose und die Argumente des Spezialisten für pränatale Diagnostik aber rekonstruiert Baumgarten aus dem Gedächtnis, er kommt - wie auch der Vater des Kindes - nicht zu Wort.

Der Film verschweigt deshalb auch Vieles, und dem Zuschauer bleibt eine Annäherung verwehrt. Die radikale Intimität solcher Szenen wie die der Hausgeburt, durchaus die Grenze des Erträglichen berührend, steht diesem Umstand entgegen. Gerade die zum Teil stilisierten Bilder von der Geburt und dem Sterben des Kindes lassen überdies eine suggestive Kritik erahnen, an jenen, die anders entscheiden. MEIN KLEINES KIND ist eine intime Dokumentation, die viele Fragen aufwirft und zur Diskussion herausfordert. Vor allem stellt sie einen mutigen Beitrag zum Diskurs über Leben und Tod dar.

D 2001, 88 min
Verleih: Viktoria 11

Genre: Dokumentation

Stab:
Regie: Katja Baumgarten
Kamera: Gisela Tuchtenhagen

Kinostart: 03.07.03

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.