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Miral

Ein kühles Formspiel über Nahost

Wieviel darf man nach SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE von einem Filmemacher wie Julian Schnabel erwarten? Nun, man kann auf jeden Fall gespannt sein, neugierig ohnehin, und man wird als vernunftbegabter Mensch durchaus die Erwartungen nach diesem „Jahrhundertfilm“ etwas herunterschrauben, was ganz normal wäre – und wird dann trotzdem enttäuscht. Nicht weil Schnabel plötzlich nichts mehr versteht von magischen Bildern beim Pas de deux mit diesen angeschliffenen Klängen in kraftvollem Moll, keineswegs, das hat der Künstler mindestens so drauf wie beim Vorgängerfilm. Nur wirkt es hier oft falsch, gar manieriert, kaum im Dienst seiner Geschichte.

Welcher Geschichte eigentlich? Denn bevor wir auf die Titelheldin stoßen, reißt Schnabel andere Schicksale an, um sie dann zu vernachlässigen, wechselt er immer wieder in den Jahren, schafft Zeit- und Persönlichkeitsbilder, ohne am Ende alles zu bündeln, was hilfreich wäre in diesem – auch thematisch bedingten – Wust, geht es doch um Israel und Palästina, um Besetzung und Unrecht, um Familien- und Wurzellosigkeit. Schnabel aber verdichtet letztendlich alles zu einem filmischen Konglomerat, dem ob der Themenflut wie Gewalt, Liebe und Haß das Schlimmste passiert, was passieren kann – der Zuschauer bleibt weitestgehend ungerührt.

Trotz starker Figuren wie Hind, eine kämpferische Frau aus gutsituiertem palästinensischen Haus, die sich für die Bildung junger Mädchen einsetzt, trotz der glutäugigen Schönheit Frida Peintos, die Miral spielt, ein mutterloses Mädchen, das unter die Räder zu geraten droht – in dieser unsteten Zeit aus lockender Annäherung und dann noch größerer Entfremdung im Nahen Osten. Trotz des stolzen und altersschönen Blickes aus den unbestechlichen Augen Vanessa Redgraves und dem verschmitzten Spiel Willem Dafoes. Allesamt Randfiguren (trotz unterschiedlicher Gewichtung ihrer Rollen), denn in MIRAL bleibt vieles verspielt, einiges angerissen, und man kann kaum umhin zu sagen, daß der Film sich so anfühlt, als hätte Schnabel ihn irgendwie machen müssen, aber eben nicht wirklich machen können oder wirklich wollen. Das Thema, das Land, die Menschen bleiben ihm – trotz des glaubwürdigen Bekenntnisses, von der literarischen Vorlage tief berührt gewesen zu sein – fremd, vielleicht kann es kaum anders sein.

Schnabel aber sucht die Offensive und geht technisch ans Werk. Und mit Versätzen aus Sprachen, Musik, Unschärfen und Wackelkamera kommt man aber nun mal nicht in die Herzen, wenn man doch eine Geschichte von Leid und geprüftem Humanismus erzählen möchte. Da helfen interessant eingeflochtene und metaphorisch in der Breite interpretierbare Kinoreminiszenzen wie Polanskis EKEL wenig, da nützt das Wechselspiel aus graublauen Wirklichkeiten und farbenfrohen, perfekt ausgeleuchteten kulinarischen Motiven kaum. Wer dennoch dranbleibt, verläßt das Kino nicht bereicherter, weil einfach zu viele Fragen bleiben. Vielleicht brach dem Film das Genick, daß Schnabel sich nicht festlegen wollte? Wollte er erzählen, wie Gewalt entsteht? Ging es ihm um die Unfaßbarkeit, was Menschen abverlangt wird? Beteiligt er sich am Dialog über die Last der Generationen? Darauf lassen sich kaum Antworten finden, dafür macht es sich Schnabel selbst zu schwer.

Er hätte auf seinen Bauch hören sollen, dann wären Sätze wie „ ... diesmal könnte es klappen“ und „ ... die Zukunft unserer Kinder“ Herzensbrecher statt pathetische Phrasen geworden. Und dann hätte Tom Waits’ Schlußlied funktioniert ...

Originaltitel: MIRAL

F/I/Indien/Israel 2010, 112 min
FSK 12
Verleih: Prokino

Genre: Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Hiam Abbass, Freida Pinto, Willem Dafoe

Regie: Julian Schnabel

Kinostart: 18.11.10

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.