Originaltitel: UN PROFIL POUR DEUX

D/F/Belgien 2017, 99 min
FSK 0
Verleih: Neue Visionen

Genre: Tragikomödie, Liebe, Poesie

Darsteller: Pierre Richard, Yaniss Lespert, Fanny Valette, Anna Bederke

Stab:
Regie: Stéphane Robelin
Drehbuch: Stéphane Robelin

Kinostart: 22.06.17

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Monsieur Pierre geht online

… und erweitert ein Superduo zum großartigen Quartett

Eigentlich egal, ob mit schwarzem Schuh oder auf Freiersfüßen, den „großen Blonden“ Pierre Richard nahm man trotz Schlafzimmeraugen nie richtig wahr. Ernst schon gar nicht. Er wurde quasi unbemerkt alt. Und tat das Unfaßbare, eiskalt Überraschende: Richard brach uns 2012 fast 80jährig in Stéphane Robelins UND WENN WIR ALLE ZUSAMMENZIEHEN? das Herz. Nun kehrt das Duo Robelin/Richard zurück, holt zwei frische Gesichter dazu – und ist immer noch schlecht für die Pumpe.

Richard mimt also Monsieur Pierre, einen grantigen, scheinbar bloß einen einzigen Pullover besitzenden Senior, welcher die Welt pauschal „zum Kotzen“ findet. Warum, wird so knapp wie möglich und nachdrücklich wie nötig klar: Ohne seine verstorbene Frau macht’s keinen Spaß mehr. Verkratzte Aufnahmen aus vergangenen Zeiten laufen endlos wiederholt im Heimkino, Tochter Sylvie engagiert besorgt Alex, den arbeitslosen Freund ihrer Tochter, als Computerlehrer. Pierre gehört abgelenkt, ein Internetzugang soll’s richten.

Wer je den (Groß-)Eltern ähnliche Hilfestellung gab, ahnt das zu erwartende Chaos, wobei Robelin zwar weiß, was der Zuschauer jetzt will, entsprechende Gags allerdings auf vielerlei körperliche Vergrößerungen offerierende Seiten und wortwörtlich geöffnete Fenster beschränkt, den WWW-Novizen fix auf ein Datingportal lotst. Dort lädt der plötzlich erstaunliche Rüstigkeit beweisende Rentner spontan Alex’ Foto hoch und chattet los. Flugs beißt, vom klugen Schreibstil überwältigt, die schöne Flora an. Und wünscht bald ein reales Treffen …

Sicher, das klingt nach ewig haltbarem Konservenfutter für Romantikkomödien-Allesgucker, und vermutlich wäre unter anderer Ägide tatsächlich plumper Dosenfraß rausgekommen. Doch Feingeist Robelin vergißt beim Zubereiten des Festmahls nicht, was er am besten kann: Gesichter zu lesbaren Büchern der Seele umformen, Situationen lose genug zusammenketten, daß ihnen Raum zur Entfaltung, zum Atmen bleibt, flüchtige Momente auf solide Charakterzeichnungen tupfen, bis alles Grobe daraus verschwindet, ein winziger Hauch das fragile Gebilde verwirbeln mag. Menschen sind bei Robelin keine festgetackerten Figuren, sie wandeln sich zur eigenen Verwunderung stetig und irren währenddessen umher, suchend, oft findend, manchmal scheiternd. In parallel bittersüß realitätsnahen und zauberhaft verträumten Geschichten, Widerhaken inkludiert.

Folgerichtig sprechen sich Pierres offensive Verkupplungsversuche jeder dezenten bis stellenweise offensiven Witzigkeit und zunehmenden Dynamik zum Trotz nicht von Egoismus frei, kann es ebenso Alex durch einnehmend traurigen Ausdruck kaum übertünchen: Beide Männer nutzen die Dame zur emotionalen Flucht und daher schamlos aus, gehen gar zum Kleinkrieg über, dessen Trophäe Flora heißt. Eine Kontroverse lauert, fügt der sowieso bereits recht pikant gewürzten Ménage-à-trois zusätzlichen Pfeffer bei. Mit langen Blicken auf Paris inszeniert Robelin da nebenher auch eine geradezu gierige, die Weite bemessende Sehnsucht, welche ihr ungleich weniger ausschweifendes Äquivalent in diesen drei vielleicht füreinander bestimmten oder letztlich voneinander abgestoßenen Teilnehmern am risikoreichen Spiel der Gefühle findet.

Befragt, an wen sich sein Film richte, hatte Robelin sehr klare Vorstellungen: „An alle.“ Grundsätzlich unnötig, dem noch irgendetwas hinzuzufügen. Nur diese persönliche Konkretisierung sei freundlicherweise erlaubt: Wie Robelins Drehbuch den oben skizzierten Konflikt final auflöst, sollte man unbedingt sehen und sich völlig hinreißen lassen von neuem, exklusiv zur Betrachtung gebrachtem ramponierten Videomaterial.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...