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Nichts passiert

Charakterstudie eines Charakterlosen

Es geht einem ganz schön an die Nieren: Thomas Engel sehnt sich nach einem schönen entspannten Urlaub mit seiner Familie, aber irgendwie geht alles schief. Die Tochter vom Chef, die kurzfristig mitfährt, will sich so gar nicht mit der eigenen Tochter verstehen. Die Ehefrau will eigentlich arbeiten, und er selbst hangelt sich immer zwischen den Wünschen und Bedürfnissen seiner Liebsten entlang, ohne sich auf die eigenen zu besinnen. Das ist löblich und auf den ersten Blick selbstlos und sozial. Beim genaueren Hinschauen aber entpuppt sich das Verhalten des Familienvaters als selbstzerstörerisch und rücksichtslos.

Mit NICHTS PASSIERT hat der Regisseur Micha Lewinsky eine herrliche und gleichzeitig tragische Charakterstudie eines Charakterlosen verfilmt. Devid Striesow ist die Rolle quasi auf den Leib geschneidert. Gekonnt kehrt er seine unsichere, zögerliche Seite heraus und läßt den Familienvater glaubhaft immer tiefer in ein moralisches Dilemma reinrutschen.

Denn Lewinsky beläßt es nicht bei harmlosen Familienstreitigkeiten, die der Vater nicht lösen, sondern immer nur schlichten oder sogar vertuschen will. Vielmehr überspitzt er die Thematik und holt Gewalt in die Szenerie, die das „Sich-Nicht-Verhalten“ des Protagonisten in einem ganz anderen Licht erscheinen läßt. Macht man sich nicht schon allein durch Nicht-Handeln schuldig – nur, um den Schein zu wahren oder die Idylle aufrechtzuerhalten, die es nie gegeben hat? Zudem merkt Familienvater Engel nicht, wie sehr sich auch alle anderen Beteiligten verbiegen müssen, damit das Kartenhaus nicht in sich zusammenfällt.

Regisseur Lewinsky zeichnet damit nicht nur gekonnt das Bild einer emotional instabilen Familie, sondern eröffnet auch eine gesellschaftliche Dimension. Denn die Frage, wie man selbst Position bezieht, wenn andere in eine Schieflage geraten, und vor allem, wie man mit den Konsequenzen der eigenen Taten umgeht, scheint durch die Metaebene des Films. Je mehr Lewinsky seinen Protagonisten agieren läßt, umso handlungsunfähiger wird dieser. Letztlich entsteht ein Vakuum, in dem alle den Boden unter den Füßen verlieren. Auch verzichtet Lewinsky auf die große Entladung der Konflikte oder die so sehnlich herbeigewünschte Gerechtigkeit. Vielmehr entläßt er den Zuschauer in die Einsamkeit, die einen umhüllt, wenn Schuld unangetastet auf den eigenen Schultern lastet. Das ist hart, aber konsequent. Und sehr unterhaltsam.

CH 2015, 92 min
FSK 12
Verleih: Movienet

Genre: Drama, Satire

Darsteller: Devid Striesow, Maren Eggert, Annina Walt

Regie: Micha Lewinsky

Kinostart: 11.02.16

[ Claudia Euen ]