D/F 2022, 119 min
FSK 6
Verleih: Pandora

Genre: Tragikomödie

Darsteller: Meltem Kaptan, Alexander Scheer, Charly Hübner, Nazmi Kirik, Sevda Polat

Regie: Andreas Dresen

Kinostart: 28.04.22

3 Bewertungen

Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush

Mutterns Mission: Aussichtslos?

Andreas Dresens Hellhörigkeit für „kleine Leute“ und ihren Soziolekt gilt als Markenzeichen. Übersehen wird oft, daß Dresens Regiearbeiten zu einem gar nicht mehr leicht zu überschauenden „Werk“ angewachsen sind, in dem Tonlagen durchaus wechseln. Seine besondere Nacherzählung der verbürgten Geschichte um den „Bremer Taliban“ Murat Kurnaz läßt sich demnach auch als einer von vielen Sonderfällen in diesem Werk betrachten. Sie kommt mit zwei Silbernen Berlinale-Bären am Revers und setzt ein mit einer folgenschweren Perspektivverschiebung – weg von Murat, hin zu dessen Mutter Rabiye.

Die stürmt ins Handlungs- und Kraftzentrum dieses Films – ungestüm und aufgewühlt. Warum die Pakistan-Reise ihres ältesten Sohnes im Oktober 2001 zu dessen Verhaftung und kurz darauf zur Internierung in Guantanamo führte? Für die Bremer Hausfrau mit türkischem Migrations- und Temperamentshintergrund ist das ein Rätsel – und im Grunde egal. Ihr Junge muß da raus: Schnell! Und ein Spezialist muß da ran: der Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke. Unangemeldet platzt das ins Mark getroffene Mutterherz in Dockes hanseatisch-beherrschten Berufsalltag. Fünf quälende Jahre soll der gemeinsame juristische Kampf um Murats „Herausgabe“ dauern – und bringt die ungleichen Komplizen nicht nur zum Supreme Court nach Washington, sondern auch in die verdeckten (und verdreckten) Winkel der deutschen Ermittlungs- und Politbürokratie jener Dekade.

Die historische Fakten- und (Un-)Rechtslage ist penibel recherchiert. Die künstlerische Freiheit liegt woanders, nämlich in der emotional-aberwitzigen Neuaufladung der Ereignisse. In Dresens mittlerweile siebter Zusammenarbeit mit der Autorin Laila Stieler verlagert sich das Weltpolitische ins Private – und weiter ins Komödiantische, ja Karikierende. Man beginnt, über das eigene laute Lachen zu staunen: Ging es bei Dresen früher nicht leiser, diskreter zu? Diskretion aber ist mit diesen sich ulkig fremden Handlungs- und Erfahrungsräumen nicht zu haben. Erst recht nicht mit dieser kräftig ins „Comme-il-faut“ gediegener Kreise einschlagenden Hauptfigur. Meltem Kaptan versieht „ihre“ Rabiye mit jener schrillen Quirligkeit, die ihr in der Fernseh-Comedy zum Erfolg verhalf. Daß der damit einhergehende Sound manchmal auch nach Selbstverzwergung klingt? Eine Befindlichkeit, die wohl im Lachen untergeht.

[ Sylvia Görke ]