D/CH/Österreich 2023, 132 min
FSK 12
Verleih: DCM

Genre: Historie, Tragikomödie

Darsteller: Sandra Hüller, Susanne Wolff, Georg Friedrich, Stefan Kurt, Angela Winkler

Regie: Frauke Finsterwalder

Kinostart: 30.03.23

1 Bewertung

Sisi & Ich

Im Mythos ist Musike drin!

Das kollektive Kinogedächtnis ist träge. Was auch immer „unserer“ Lieblingskaiserin von Österreich-Ungarn filmisch nachgerufen wurde: Die volkstümelnde Trilogie von Ernst Marischka aus den 50er-Jahren popularisierte nicht nur den irrigen Kosenamen mit Doppel-S, sondern setzte eine hagiographische Marke, die klebt wie ein oller Lappen. Wer etwas werden will in der Nach-Marischka-Sisi-Ära, der zerrt daran. Erst recht, wenn man wie Regisseurin Frauke Finsterwalder dem filmographischen Rattenschwanz am Sisi-Komplex nicht einfach nur den x-ten Eintrag hinzuzufügen vorhat. Alles anders! Aber wie?

Ja, man trägt Kostüm, und ja, die Ausstattung ergibt die erwartbaren Schauwerte – freilich greller als gewohnt, denn Bild- und Erzählkanten dürfen sichtbar bleiben. Was Finsterwalders Mythenrenovierung aber wirklich adelt, ist die Frau, die Elisabeth, wenigstens hier, die Hauptrolle stiehlt: Irma Gräfin von Sztáray, eine kaum beleuchtete Figur der historisch informierten Sisi-Exegese. Weil das Fräulein weder durch Heirat noch sonst irgendwie nützlich zu sein vermag, tritt sie mit biblischen 42 Jahren und schlagkräftiger (!) Unterstützung der Mutter den Job der Hofdame an. Sie begegnet nicht nur einem weiblichen Popstar des 19. Jahrhunderts im Krieg mit dem eigenen alternden Körper. Durch sie hindurch blicken wir auch auf einen durch die Mittelmeerregion vagabundierenden Hofstaat aus androgynen, speichelleckenden Domestiken. Irma lernt schnell. Sie erturnt, erhungert und erliebt sich die Zuneigung der neuen Herrin. Bis zur nächsten Zurücksetzung. Bis zuletzt.

Zu lang? Zu vernarrt in manchen Drehbucheinfall? Finsterwalders zweiter abendfüllender Spielfilm nach FINSTERWORLD, erneut miterfunden von Lebens- und Schreibpartner Christian Kracht, ist selbstbewußt genug, um solcherlei Kritik auszusitzen. Es gibt ein brillantes Schauspielensemble, angeführt von einer überragenden Sandra Hüller, die nicht nur in Dialogen, sondern sogar an Ringen schwingen kann. Es gibt den Mut zur Boshaftigkeit, die binnen Sekunden in Zart-Elegisches umzuschlagen sich aufmacht. Und es gibt ein Musikkonzept, das als Gegenoperette zur überkommenen Walzer- und Ländler-Lieblichkeit der „guten alten Zeit“ funktioniert. Diese zweite Filmhaut ist widerborstig und konsequent weiblich: Portishead, Nico, Clara Schumann. Nehmen Sie das, Herr Marischka!

[ Sylvia Görke ]