Originaltitel: THREE THOUSAND YEARS OF LONGING

Australien/USA 2022, 109 min
FSK 12
Verleih: Leonine

Genre: Märchen, Liebe, Fantasy

Darsteller: Tilda Swinton, Idris Elba

Regie: George Miller

Kinostart: 01.09.22

6 Bewertungen

Three Thousand Years Of Longing

Bezaubernde Binnie: Wenn Magie auf Räson trifft

Ach, die Sagen aus 1001 Nacht! Fliegende Teppiche, farbenfrohe Pracht, mindestens 40 Räuber, ein praller Kosmos. Man vergißt deswegen leicht, daß Scheherazade um ihr bedrohtes Leben erzählt, außerdem eine Mordserie beenden will. Jawohl, Märchen stehen und laufen mitunter auf ziemlich finsteren Füßen.

Regisseur George Miller weiß es genau und läßt immer wieder Schatten seine lichtdurchflutete Fabel verdunkeln, die zunächst einen Namen generiert: Dr. Alithea Binnie. Klingt verspielt, benennt indes eine gänzlich verkopfte Wissenschaflerin auf Dienstreise. Aus dem Wühltisch fischt sie eine Flasche, jener entsteigt ein Dschinn, drei Wünsche werden angeboten und abgelehnt, schließlich gibt’s sicher Haken daran, daneben will die nominell Beschenkte eh nichts. Worauf der Dschinn zu berichten beginnt, wonach er sich – siehe Titel – 3000 Jahre sehnte.

Da geht’s um die Königin von Saba, Hingabe oder den Wert von Geschichten. Alithea interessiert allerdings (vorerst) lediglich eine Frage: Wie wohnt sich’s Jahrzehnte in einer Flasche? Der Dschinn seufzt und fährt fort. Was Miller als rauschhaften Traum offeriert, hier feucht, dort fiebrig, manchmal böser Alp; voluminöse Haremsdamen, ausgetickte Herrscher, fiese Intrigantinnen und verblendete Gefühlsopfer absolvieren Kurz-auftritte, es wird geschlachtet, gevögelt, geliebt. Primär Letzteres, in all seiner Bandbreite zwischen höchstem Glück und zerstörerischer Verletzung. Alithea hebt Beziehungsüberreste in kleinen Kisten auf, vermag also kaum mitzureden. Lauscht jedoch zunehmend gespannter.

Dieser überbordenden Sinnesattacke bloß angerissene Denkeinladungen vorzuwerfen, wäre unfair und faul, bewußt vermiedene Erklärungen bewahren künstlerische Freiheiten, nur die Darstellung magischer Vorgänge schmeißt sich an Erwartungshaltungen ran. Und dennoch: Aus dem mal mehr, oft weniger überzeugenden CGI-Gewitter leuchtet etwas, das man aus keinem Rechner hätte kitzeln, auf keine Weise inszenieren können, weil es entstehen muß – die Chemie zweier Menschen, eine Zuneigung, welche nie auf banale Wortleerhülsen à la Funkenflug und Knistern schielt, die viel tiefere Verbindung des Inneren. Tilda Swinton hat man zwar Vergleichbares schon mimen sehen, verfolgt es trotzdem mit einer Hingabe, als wär’s das erste Mal. Und Idris Elba, dessen pure Körperlichkeit allein jeden emotionalen Facettenreichtum zu beschneiden scheint? Positioniert sich auf Swintons Augenhöhe. Da lodert spürbare Verzahnung, zerbrechlich, ein blinkender Schatz, erhaltens- und behütenswert. Umso mehr, wenn Alithea den Zauber in ihr Zuhause holt, gleichzeitig privates Gefängnis und Zufluchtsort vor Stammtischphrasen dreschenden Nachbarinnen. Ihre ureigene Flasche gewissermaßen. Sie ahnte es natürlich nicht; vieles andere bleibt weiter unerkannt.

Auch Miller widersteht der Versuchung, sein Schmuckkästchen, auf ein Podest gestellt, vorüberziehenden Publikumskolonnen zwecks prahlerischer Inhaltspräsentation zu öffnen. Er heißt dafür willkommen, zwei Stunden lang die Ratio auszuschalten, persönliche Wahrheiten zu entdecken. Seien sie wunderschön, verdammt schmerzlich oder beides parallel, entsprechend der ein erinnerungswürdiges Ereignis adäquat beschließenden Klimax.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...