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Tom Sawyer

Das Auferstehen eines Kindersommers

1867 erlebte Tom Sawyer seine literarische Geburt. Und welches größere Kompliment kann man seinem Schöpfer Mark Twain machen, als dieses: Tom wird einfach nicht alt. Der Sommer dieser Kindheit dauert ewig, und er verlockt noch immer. Gerade auch das Kino.

Rein empfindungsmäßig muß es ungefähr die 671. Tom-Sawyer-Verfilmung sein, und wir überlassen es an dieser Stelle großherzig den Feuilleton-Fachkräften, demnächst damit zu brillieren, die besten dieser Verfilmungen kennerhaft aufzuzählen und an dieser neuen zu messen. Die nun kommt aus Deutschland. Hermine Huntgeburth hat sie gedreht. Und ja: Gerade als inniger Freund des Buches fragte man sich doch skeptisch mit Blick auf die ja gern zwackenden Verklemmtheiten politischer Korrektheit: Werden sie sich trauen? Wird etwa das Unwort „Nigger“ fallen? Werden Tom und Huck genußvoll ihr Pfeifchen paffen? Kriegt Tom seine zünftigen Watschen von Tante Polly?

Und darüber hinaus fragte man sich: Wie wird er auferstehen, der Sommer am Mississippi, das große, barfüßige Abenteuer einer Kindheit, wie es sie heute zumal in westlichen Gefilden kaum mehr geben dürfte? Um zu antworten: In der optischen und atmosphärischen Anmutung ist TOM SAWYER absolut gelungen. Ein Kindersommergold zum drin baden und Fische fangen. Wunderbar. Und die Sache mit der politischen Korrektheit? Wurde diplomatisch angegangen. Wie schon bei Twain dürfen auch hier die Kids in aller Unschuld anarchisch gegen diverse Verhaltensregeln verstoßen. Auch gegen heutige. Da bleiben Tom, Huck Finn und der Rest auch verbal eine Rasselbande. Wofür dann Tom von Tante Polly auch mal ein paar geknallt bekommt.

Verhaltener ist dann die Darstellung des Schurken Indianer Joe (mit funkelnden Augen und Bräunungscreme: Benno Fürmann) als Ausgestoßener in einer puritanisch-weißen Gesellschaft, die zu hassen Joe durchaus Gründe hat. Daß Huntgeburth da Motive eines Deklassierten dezidierter herausarbeitet, ist nicht nur „korrekt“, sondern macht die Sache auch spannender, da tragischer. Umso bedauerlicher, daß an anderer Stelle mit heißer Nadel gestrickt wurde. Verzeihlich: Daß mitunter arg durch die Szenen gerast wird. Unverzeihlich: Daß Huck, ein ja weitaus würzigerer Charakter als Tom, hier zum schlaffen Schlapphut-Paddington-Bär am Mississippi entschärft wurde.

D 2011, 109 min
FSK 6
Verleih: Majestic

Genre: Literaturverfilmung, Abenteuer, Kinderfilm

Darsteller: Louis Hoffmann, Leon Seidel, Heike Makatsch, Benno Fürmann, Joachim Król

Regie: Hermine Huntgeburth

Kinostart: 17.11.11

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.