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Transit (2010)

Schön montierte, aber reichlich unscharfe Doku über West-Ost-Fluchten

Es liegt im Wesen von Familientragödien, daß sie den Hinterbliebenen für immer Rätsel aufgeben, im Schweigen der Toten kreisen die ewig gleichen Fragen, die ohne Antwort bleiben: Warum hat er das getan? Wie sahen seine letzten Stunden aus? War es wirklich unausweichlich? Auch die Regisseurin Angela Zumpe belastet ein solches Schweigen, 1969 sprang ihr sechs Jahre älterer Bruder Reinhard in den Tod. Einige Monate zuvor war er aus Westberlin in die DDR übergesiedelt. Seine letzten Lebensmonate liegen im Dunkeln. Vierzig Jahre später macht sich seine Schwester mit der Kamera auf die Suche nach ihrem verschollenen Bruder.

Die Spuren, die sie findet, sind äußerst dürftig. Niemand erinnert sich mehr an Reinhard, der einzig verbliebene Freund will nicht reden, und die inzwischen verstorbenen Eltern haben ihren Sohn nach seinem Selbstmord totgeschwiegen. Der tiefe Konflikt mit dem konservativen Vater, einem Pfarrer, der den Ideen und Bedürfnissen seines Sohnes verständnislos gegenüberstand, war – so legt es der Film nahe – der entscheidende Auslöser für Reinhards Flucht in den Osten. Doch warum traut sich Angela Zumpe erst nach so langer Zeit und dem Tod der Eltern, den im Grunde wichtigsten Kronzeugen, nach ihrem Bruder zu forschen? Darüber erfährt man in TRANSIT leider nichts.

Die löchrige Faktenlage wird stattdessen mit Spekulationen gefüllt: Wäre der Bruder wohl zum Journalistikstudium in Leipzig zugelassen worden, und wäre er nicht auch dort angeeckt? Welchen Platz hätte er in der DDR überhaupt finden können? Als Zeugen für diese Gedankenspiele werden wiederum andere Menschen zitiert, denen Zumpe im Laufe ihrer Recherchen begegnet ist, und die ihre eigenen Erfahrungen mit dem Wechsel von West nach Ost gemacht haben und nun davon erzählen.

Das alles ist nicht uninteressant, es ist schön montiert, und die Archivaufnahmen, darunter viele private Super-8-Filme, sind sehenswert. Doch laviert der Film unentschieden zwischen persönlicher Familiengeschichte und allgemeiner deutsch-deutscher Zeithistorie. Gegen Ende franst das ursprüngliche Vorhaben immer mehr aus, und der Film leidet zunehmend an der Infoschnipselkrankheit, von der auch die meisten TV-Dokus befallen sind: Man hat zwar viel gesehen, und es wurde vieles gesagt, aber man weiß trotzdem nicht wirklich mehr als vorher.

D 2010, 80 min
Verleih: Basis

Genre: Dokumentation, Polit

Regie: Angela Zumpe

Kinostart: 07.10.10

[ Dörthe Gromes ]