1 Bewertung

Unsere kleine Schwester

Würde und Poesie

Vergessene Kinder, vertauschte Kinder, verlassene Kinder – durch das Schaffen des Japaners Hirokazu Kore-eda zieht sich die schwierige Familienanordnung wie ein straffer roter Faden. Immer sind seine sensibel, nie aufbrausend erzählten Filme Einladungen zur Beobachtung, gar zur Observation. Viel Universelles wie typisch Japanisches drang beispielsweise von NOBODY KNOWS und LIKE FATHER LIKE SON nach draußen. Das ist bei UNSERE KLEINE SCHWESTER nicht anders.

Suzu bekommt einen Strich am Rahmen der Tür. 15 ist sie und etwas kleiner als die anderen mit 15. Liegt es daran, daß sie eine andere Mutter hat als Sachi, Yoshino und Chika? Vielleicht fällt die Antwort wirklich so leicht. Selbst schwerer Wiegendes wirkt für die jungen Frauen seltsam mild und durchdrungen. Doch ist es nicht immer auch das rein poetische Kino, das uns Horizonte öffnet? Nicht nur das kantige der Wundenbohrer?

Drei Schwestern also. Nicht nach Tschechow, sondern nach einem Manga. Der Vater ist vor 15 Jahren gegangen, weil er sich in eine andere Frau verliebt hat. Die Mutter hat es nicht verwunden, doch sie brachte sich nicht um, sondern ging ebenfalls. Sachi, die große Tochter, mußte übernehmen. Das Haus ist den Kindern geblieben – viel zu alt, viel zu groß, aber wunderschön gelegen in Kamakura zwischen Bergen und Meer. Alle drei haben längst Berufe, sind Krankenschwester, Bankangestellte, Verkäuferin. Der Film setzt ein, als die Schwestern zur Beisetzung fahren. Vater ist tot. Jetzt ist er es wirklich.

Vor ihrer Rückreise lassen die drei eine Einladung zurück: Halbschwester Suzu, die sie gerade zum ersten Mal gesehen haben, kann bei ihnen wohnen, wenn sie mag. Die Kleinste hat nun keine leiblichen Eltern mehr, Mutter ist schon früher gestorben, der Vater hatte sich bereits die nächste Frau gesucht. Bis Suzu das Trio zum Quartett machen wird, vergeht Zeit. Im Film ist es ein eleganter Sprung.

Viel Würde zieht sich durch die Inszenierung, durch sanfte Landschafts- und Menschenbilder, in sich ruhende Szenen aus dem „Mädcheninternat“, wie Yoshino, die Mittlere, diese Schwesternrunde scherzhaft nennen wird. Konflikte? Höchstens eine Bluse, die die eine der anderen stibitzt und dann noch als erste das Bad besetzt. Männer? Kommen vor, doch sie sind hier eher Auswechselspieler. Schließlich ist Japan aktueller Vizeweltmeister der Fußballerinnen. Auch Suzu spielt bald mit.

Originaltitel: UMIMACHI DIARY

J 2015, 128 min
FSK 0
Verleih: Pandora

Genre: Drama, Poesie, Schicksal

Darsteller: Haruka Ayase, Masami Nagasawa, Kaho, Suzu Hirose, Ryô Kase

Regie: Hirokazu Kore-eda

Kinostart: 17.12.15

[ Andreas Körner ]