Originaltitel: LA FAMILLE BÉLIERS

F 2014, 106 min
FSK 0
Verleih: Concorde

Genre: Tragikomödie, Poesie

Darsteller: Louane Emera, Karin Viard, François Damiens, Éric Elmosnino

Regie: Éric Lartigau

Kinostart: 05.03.15

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Verstehen Sie die Béliers?

Hinreißende Komödie über Zusammenhalt und Emanzipation

„Tschüß, Ihr Dumpfbacken!“ Daß einer solchen, erst einmal recht derben Verabschiedung dennoch viel Liebe inne ist, das muß man erst einmal hinkriegen. Doch wenn Paula derart mit ihren Eltern und dem jüngeren Bruder spricht, dann hat das doch immer eine enorme Wärme, weil Paula ein Mädchen von besonderem Charme ist, und es hat ganz frechen Witz, weil die Drei nicht hören. Also wirklich nicht. Die Eltern und Quentin sind gehörlos und stumm. Und da Paula als einzige sprechen und hören kann, hat sie für die Bauernfamilie eine große Verantwortung, und da darf man auch mal frech sein. Das ist die Prämisse eines unglaublich komischen, eines dem Zuschauer das Herz in der Brust heftiger schlagen lassenden Films. Paula steht definitiv im Fokus der Geschichte, doch Éric Lartigau und seine Drehbuchautorin Victoria Bedos haben auch den Rest der Bande ganz fabelhaft skizziert. Denn die Béliers wären selbst ohne Handicap eine ganz besondere Familie. Vor allem eine, die das Herz am rechten Fleck hat.

Das zeigt sich auch beim Verkauf ihrer Produkte auf dem Wochenmarkt, sie sind freundlich, albern, manchmal sogar ziemlich albern, und sie zeigen Kante, wenn es um die Phrasendrescherei des Bürgermeisters mitten im Wahlkampf geht. Da kennen sie wahrlich kein Pardon. Rodolphe, der Vater, stellt sich gar als Gegenkandidat auf, und kein Wahlkampfslogan scheint augenzwinkernder und passender als: „Je vous entends!“ Zu heftigeren familiären Eruptionen kommt es schließlich, als Paula zum einen sich in Gabriel verliebt, mit dem sie gemeinsam im Schulchor singt, und zum anderen, als sie auf Anraten des Chorleiters ernsthaft über eine Bewerbung an der Musikakademie in Paris nachdenkt. Hier gelingen dem Film die emotionalsten Momente, allein, weil die Familie vorerst ziemlich aufgeschmissen ohne die „Übersetzerin“ Paula wäre. Und daß sich ihr Mädchen ausgerechnet für Musik, die Maman, Papa und Quentin selbst nicht hören können, interessiert, ist schmerzvoll genug, einem Ausschluß aus Paulas Welt gleich.

Doch da muß man klarstellen: Zum einen ist’s ein fabelhafter Spaß, an welch’ unorthodoxen Musiklehrer Paula gerät, der mit einer rotzfrechen Verve und Ungehobeltheit von Éric Elmosnino gegeben wird, und zum anderen ein geradewegs genialischer Einfall, die Lieder eines musikalischen Denkmals ins Zentrum der Geschichte zu stellen: Michel Sardou! Dessen Chansons mit diesen aneckerischen, poetischen und kraftvollen Texten werden Teil eines hinreißenden Films, der von nicht weniger als der ersten großen Liebe mit doch einigem feinen LA BOUM-Touch erzählt, der vom Mut, sich endlich etwas zuzutrauen, fabuliert, und der zudem schönsten familiären Zusammenhalt und die Angst vor Einschnitten darin zum Thema macht.

Das ist viel, keine Frage, aber bei einem von solch’ ausnahmsloser Sympathie beseelten Cast, in dem Karin Viard als Paulas Mutter Gigi ihr breites Spektrum formidabel darbieten darf, in dem François Damiens geradezu kämpferisch ist, und das junge Talent Louane Emera mit einer erfrischenden Natürlichkeit besticht, ist das in keinem Moment zu viel und zielt vielmehr glatt auf die Zwölf. Und ins Herz. Ein Test? Schauen und hören Sie doch mal ganz unauffällig im Kino zu und auf ihrem Nachbarn, ob es den nicht gerade genauso heftig durchschüttelt und niederschnäuzt wie Sie, wenn Paula kurz vor dem Finale Sardous „Je vole“ darbietet. Und plötzlich den Text für ihre im Auditorium sitzenden Eltern in Gebärdensprache übersetzt ... Verstehen Sie?

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.