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Vier Minuten

Immer ordentlich in die Tasten

Ein Körper baumelt zwischen Gitterbett und Wand. Willkommen im Frauenknast. Jenny, die Protagonistin, fährt aus dem Schlaf, entdeckt ihre Zimmernachbarin, die sich erhängt hat, und handelt schnell: Sie lehrt ihr die Taschen aus. Eine so abgeklärte, harte und wilde junge Frau hat man wohl selten gesehen. Immer bereit, dem Wachpersonal den Arm abzuklemmen oder einer Mitinsassin die Fresse einzuschlagen.

Chris Kraus, der mit seinem Debüt SCHERBENTANZ Aufmerksamkeit erregte, hat seinen zweiten Spielfilm bewußt kraftvoll und dynamisch inszeniert. An satten Farben wird trotz Gefängnistristesse nicht gespart, schließlich soll Jenny in dem ihr auferlegten Dauerkampf um ein wenig Freiheit und persönliche Entfaltung ganze vier Minuten erringen, die ihr gehören. Und dazu braucht es vorher Trubel.

Jenny soll sich freispielen, am Klavier. Wäre sie Rocky, so wäre die 60jährige Anstaltsklavierlehrerin Traude Krüger ihr Trainer. Immer grau in grau gekleidet, die ebenfalls ergrauten Haare streng gebunden, kurz: die verkörperte Selbstdisziplin, geht sie wie ihre Schülerin mit dem Kopf durch die Wand und erreicht auf unkonventionellen Wegen ihre Ziele. Zwei starke Frauen prallen aufeinander, die sich gegenseitig quälen, aber auch bespiegeln und so ihre Wunden freilegen.

Acht Jahre hat Kraus für dieses Projekt gekämpft, für das er auch das Drehbuch schrieb. Doch manchmal wird, was lange währt, nicht endlich gut, sondern einfach zu viel. Zwar klingt der Titel bescheiden, doch der Film ist es nicht. Warum muß die Geschichte unbedingt historisch ausholen und mal wieder die NS-Vergangenheit bemühen? Und dann ist Traudes tragische Liebesgeschichte mit einer Widerstandskämpferin auch bereits mit der ersten Rückblende erzählt. Störend wirken auch die Frage nach Jennys tatsächlicher Schuld sowie eingestreute deutsche Stars wie Vadim Glowna und Nadja Uhl als blasse Nebenfiguren.

Immerhin: Behäbigkeit kann man dem Film nicht vorwerfen. Das Tempo beeindruckt. Doch die sinnlichen und besinnlichen Momente, ebenso die Rolle der Musik gehen verloren. Die wirklich interessanten Hauptfiguren mutieren zu lebenden Nervenbündeln. Die großartige Monica Bleibtreu und die Neuentdeckung Hannah Herzsprung als Jenny können dagegen auch nicht mehr viel machen.

D 2006, 112 min
Verleih: Piffl

Genre: Drama, Schwul-Lesbisch

Darsteller: Monica Bleibtreu, Hannah Herzsprung, Sven Pippig, Richy Müller, Vadim Glowna, Nadja Uhl

Regie: Chris Kraus

Kinostart: 01.02.07

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...