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Wolfsbrüder

Das wilde Tier: der bessere Mensch

Wer von wahren Geschichten nicht genug bekommen kann, lausche der folgenden: Marcos, sieben Jahre alt, lebt mit Bruder, Vater sowie einer Stiefmutter, gegen welche sich die böse Hexe des Westens wie ein lichter Engel anfühlt, in provinzieller Armut und wird gleich zu Anfang buchstäblich verkauft, namentlich an den Großgrundbesitzer. Selbiger schickt das Kind ins Tal der Stille, zu einem alten Ziegenhirt (Typ: rauhe Schale, weicher Kern). Obwohl Marcos bloß ein Kuschelfrettchen zum Freund hat, geht es ihm gut – bis der Alte hollywoodkonform inszeniert stirbt, was den Jungen fortan ums Überleben kämpfen läßt. Hilfreich zur Seite steht ihm allein ein Rudel Wölfe ...

Ja, das sieht stets toll aus. Natürlich, primär die Aufnahmen pittoresker Landschaften streicheln das Auge. Und klar, so ein Nachwuchswolf ist knuffig, man zweifelt’s keine Sekunde an, und wenn eins der Tierchen sich entschließt, seine frisch gerissene, dampfende Beute mit dem verhungernden Menschenkind nebenan zu teilen, weinen sensible Gemüter still ins Taschentuch. Trotzdem: Hier regiert die Form definitiv über den Inhalt, es bleibt ziemlich wenig Stoff, den man geistig vernähen könnte. Im Verdacht einer Naturdoku steht der Film dann auch, wenn er als vermutetes Füllsel vom Wildschwein bis zur Kröte wenigstens einmal praktisch alles vor die Linse zerrt, was im Wald eben noch völlig ahnungslos seiner eigenen Wege kreuchte und fleuchte. Oder ein recht unmotivierter Wechsel hin zum Winter offenbar vergangene Zeit anzeigen will, man aber den Verdacht kaum unterdrücken kann, er geschähe bloß, weil Wölfe im Schnee unheimlich fotogen wirken.

Quasi ausgleichend kommt irgendwann am Rand ein politisch motivierter Subplot daher, in dem wir so was wie einen modernen Robin Hood kennenlernen, allerdings durchaus oberflächlich und nicht wirklich handlungsrelevant. Immerhin geben der Mann und seine Gefolgschaft markige Sprüche zum Besten, in Erinnerung blieb: „Alle Vögel stibitzen das Korn, aber schuld ist immer der Spatz.“ Was fürs Poesiealbum.

Am Ende der tierischen Tollerei wird man, gleichsam als gefühlte Essenz des aus knapp zwei Stunden Mitzunehmenden, per altgedienter Texteinblendung darüber in Kenntnis gesetzt, daß Marcos sich unter anderen Menschen nie wohl fühlte. Tja, das geht einigen von uns Normalbürgern sicher ganz ähnlich. Aber werden darüber etwa Filme gedreht?

Originaltitel: ENTRELOBOS

Spanien/D 2010, 107 min
FSK 6
Verleih: Polyband

Genre: Drama, Erwachsenwerden, Natur

Darsteller: Juan José Ballesta, Sancho Gracia, Manuel Camacho, Carlos Bardem, Alex Brendemühl

Stab:
Regie: Gerardo Olivares
Drehbuch: Gerardo Olivares

Kinostart: 07.06.12

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...