DDR 1964-1990, 443 min
Label: Absolut Medien

Genre: Dokumentation

Regie: Winfried Junge, Barbara Junge

Jenseits von Golzow

Winfried Junge wird gewiß für immer der Golzow-Regisseur sein, aber natürlich hat er neben der beeindruckenden 43stündigen Langzeitdoku DIE KINDER VON GOLZOW über eine Schulklasse im Oderbruch auch andere Arbeiten gefertigt, von denen nun eine Auswahl vorliegt. 15 Filme aus den Jahren 1964 bis 1990, die thematisch geteilt auf zwei DVDs mit „Über das Lernen“ und „Menschen in den Landschaften ihres Lebens und ihrer Arbeit“ betitelt sind. Junge blieb gewissermaßen bei seinem Thema: Menschen beim Lernen, Reifen und Erfahren zu beobachten, in ihren (DDR-)Alltag einzutauchen. Seine Methodik zielt dabei oft via direkten Gesprächs oder aktiven Blickes auf die Erörterung eines Konfliktes, das Formulieren von Haltung und Lösung. Junge zeichnet dabei ein hohes Maß an beruflicher Neugier, persönlichem Interesse und Empathie aus. Er kann mit Menschen, das zeichnete ja auch die Golzow-Filme aus. Und trotzdem sind die meisten der hier versammelten Werke nicht halb so mitreißend, so anrührend und auch oft nicht von so unverstellter Ehrlichkeit, wie es eben für die Filme über Jürgen und Ilona, Jochen und Gudrun, Bernd und Elke, Dieter und Marie-Luise, Brigitte und Marcel gilt.

Dabei kommen durchaus interessante Menschen zu Wort, zum Beispiel in STUDENTINNEN aus dem Jahre 1965. Erzählt wird von jungen Frauen, die ein „Männerstudium“ an der Technischen Hochschule in Ilmenau aufnehmen. Gerade mal 5% der Studierenden sind weiblich, die Frauen selbst kritisieren das normierte Aufwachsen, wonach Mädchen eben Puppen und Jungs Elektrobaukästen geschenkt bekommen. Ein behutsamer und stiller Film, bei dem sich Junge als guter Zuhörer erweist. Peter Gotthardt lieferte die Musik dazu, einer der gelungeneren Filme aus dem Frühwerk Junges.

Seine Handschrift, dieses sofortige Eintauchen in die Geschichte, diese Neugier am Werdegang, zeichnet auch MIT BEIDEN BEINEN IM HIMMEL aus, der dem sächsischen Piloten Günter Schneider ins Cockpit seiner Maschine folgt. Ein Vorzeigepilot gewiß, Kumpel außerdem, Genosse natürlich auch, aber eben auch einer, der das Herz am rechten Fleck hat, der Familie schätzt, dem beruflichen Glück mit gewisser Demut begegnet. Es gehörte aber schon einige Chuzpe dazu, dem DDR-Publikum einen Film zuzumuten, der von einem erzählt, der Grenzen locker hinter sich läßt.

WENN JEDER TANZEN WÜRDE, WIE ER WOLLTE, NA! beschäftigt sich mit der Sinnhaftigkeit der Tanzstunde, die ja ziemlich obligatorisch war. Die stärkeren Momente sind auch wieder die, in denen Jugendliche zu Wort kommen, darüber, wozu das Erlernen von Walzer und Rumba nun wirklich gut sein soll. Der permanente Gegenschnitt zu einem Rockkonzert allerdings ist irgendwie unelegant. Zu freundlich ist EINBERUFEN geraten – ein kurzer Film über junge Soldaten, die in Rostock zu „Mot. Schützen“ ausgebildet werden. Man erinnert sich: Wenn einer zur NVA mußte, viele hundert Kilometer von den Lieben entfernt stationiert und in einen Alltag der Schikane und sinnlosen Manöver gezwungen, der zog kaum so fröhliche Miene wie die hier Porträtierten. Hätte Junge auf den Ansatz der Offenheit und Ehrlichkeit gepocht, hätte es diesen Film natürlich so nie gegeben.

Nicht wenige Beiträge der Kompilation sind ideologisch gefärbt, was den Zuschauer, gerade den DDR-sozialisierten, durchaus stört, darüber hinaus aber nicht verwundert, sind doch Auftragsarbeiten aus dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten wie der Film JUBILÄUM EINER STADT – 750 JAHRE ROSTOCK dabei. Trotzdem gelingt es Junge, auch den Verfall einer Stadt zu zeigen, was im Gegenschnitt zu den historischen Zeichnungen besonders auffällt. Zwar wird diese Sehnsucht nach der Platte als Fortschritt kommentiert, es schwingt aber immer behutsame Kritik an den Zuständen mit, wonach man in der DDR weder finanziell noch fachlich in der Lage war, architektonische Kleinode vor dem Verfall zu bewahren.

Ein Übermaß an ideologischer Färbung zeichnet KEINE PAUSE FÜR LÖFFLER aus, der einen Lehrer und seine 6. Klasse porträtiert. Dieser Löffler ist ein linientreuer Pädagoge, der zwar mit viel Geduld und Feingefühl und einiger Selbstüberschätzung seinen Schülern praktisch alles beibringen will, aber eben auch in zu vielen Momenten die üblichen Phrasen vom Lernen im Sozialismus schwingt. Das ist filmisch – auch durch den unsäglichen Märchenonkelsprecher Uwe Kant – doch zu hölzern, da erstickt selbst die Neugier, was wohl aus den „Kleinen“ mal werden könnte. Womit sich der Film geradezu als Gegenpol der Golzow-Reihe positioniert.

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.