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Kilomètre Zéro

Roadmovie zwischen Ironie und Drama

Nach der wunderbar skurrilen Tragikkomödie WODKA LEMON über ein Bergdorf im Kaukasus schickt Hiner Saleem den Zuschauer auf eine Reise durch den Irak zur Zeit des 1. Golfkrieges.

Der junge Kurde Ako will außer Landes, aber Selma, seine Frau, möchte ihren schwerkranken Vater nicht im Stich lassen. Kurz darauf wird der junge Mann gezwungen, in Saddam Husseins Armee einzutreten, und muß an die Front. Selbst als Angehöriger des Militärs ist er täglich der Gewalt und den Demütigungen durch Offiziere ausgesetzt. Eines Tages erhält er den Auftrag, den Leichnam eines Märtyrers zu dessen Familie zu bringen und sieht darin seine Chance zur Flucht. Mit einem arabischen Taxifahrer hinter dem Steuer und einem Leichnam auf dem Dach des Autos tritt er eine Reise an, die vom Süden bis in den Norden des Irak, in das kurdische Gebirge führt. Ako setzt alles daran, seinen Begleiter in die Irre zu führen, in die Nähe der Grenze ...

Bestechend sind erneut die Bilder Saleems - sorgfältig ihre Komposition, scheinbar mühelos der Wechsel zwischen Nähe und Distanz. Vor dem gewaltigen Hintergrund der kargen Gebirgslandschaft des Irak wirken die Figuren zuweilen lächerlich klein - die natürliche Kulisse kontrastiert hier das menschliche Unvermögen, Konflikte beizulegen. Ako und der arabische Fahrer sind, obwohl außerstande, die gegenseitigen Ressentiments zu benennen, unfähig, ihre Gegnerschaft aufzugeben. Obwohl sie auf ihrer Reise etliche Kilometer zurücklegen, kommen sie in dieser Hinsicht nicht über den Nullpunkt hinaus - den KILOMÈTRE ZÉRO.

Der Regisseur flicht auch diesmal groteske Elemente ein. So will sein Protagonist zunächst unbedingt ein Bein opfern, um wieder nach Hause zu kommen, und die Omnipräsenz des Diktators durchzieht den gesamten Film. Selbst in der Wüste findet sich dessen Konterfei, aus jedem Radioapparat tönt seine Stimme, und als salutierende Statue auf einem Lastwagen festgezurrt, folgt Saddam Hussein dem Kurden selbst in die entlegensten Landstriche. Die gesamte Geschichte ist als Rückblende in Szene gesetzt. Am Anfang sieht man Ako schon im französischen Exil, am Ende feiert er im naiven Glauben an die Befreiung der Kurden den Einmarsch der Amerikaner im Irak.

Mit Texteinblendungen erinnert Saleem darüber hinaus Ereignisse des Krieges, wie den Massenmord an den Kurden. Eine solche Dichotomie macht den Zugang zu diesem wichtigen Film nicht leicht - zwischen der Ironie der Kunst und dem Drama der Realität fällt es zuweilen schwer, sich zurecht zu finden.

Originaltitel: KILOMÈTRE ZÉRO

F/Irak 2005, 96 min
Verleih: Mitos

Genre: Drama, Polit, Tragikomödie

Darsteller: Nazmi Kirik, Eyam Ekrem

Regie: Hiner Saleem

Kinostart: 01.06.06

[ Jane Wegewitz ] Für Jane ist das Kino ein Ort der Ideen, ein Haus der Filmkunst, die in „Licht-Schrift“ von solchen schreibt. Früh lehrten sie dies Arbeiten von Georges Méliès, Friedrich W. Murnau, Marcel Duchamp und Man Ray, Henri-Georges Clouzot, Jean-Luc Godard, Sidney Lumet, Andrei A. Tarkowski, Ingmar Bergman, Sergio Leone, Rainer W. Fassbinder, Margarethe v. Trotta, Aki Kaurismäki und Helke Misselwitz. Letzte nachhaltige Kinoerlebnisse verdankt Jane Gus Van Sant, Jim Jarmusch, Jeff Nichols, Ulrich Seidl, James Benning, Béla Tarr, Volker Koepp, Hubert Sauper, Nikolaus Geyrhalter, Thierry Michel, Christian Petzold und Kim Ki-duk.