D 2021, 127 min
FSK 12
Verleih: Grandfilm

Genre: Komödie, Persiflage, Polit

Darsteller: Lilith Stangenberg, Alexandre Koberidze, Alexander Herbst, Corinna Harfouch

Regie: Julian Radlmaier

Kinostart: 12.05.22

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Blutsauger

Die Flamboyance der Bourgeoisie

„Eine marxistische Vampirkomödie“ nennt sich Julian Radlmaiers zweiter langer Kinofilm im Untertitel, eine Passage aus Karl Marx’ „Das Kapital“ aufgreifend, in dem das Kapital mit einem Vampir verglichen wird, der das Blut der Arbeit aussaugt. Radlmaier lotet die Möglichkeit einer zweiten sozialistischen Revolution vor allem vom bildungsbürgerlichen Standpunkt aus, was sein letzter Film SELBSTKRITIK EINES BÜRGERLICHEN HUNDES bereits ironisch im Titel trug. Die Vorlage bildet aber immer noch die erste sozialistische Revolution, während das Hindernis durch die Schwerkraft der Bourgeoisie gegeben ist.

Das eigentlich Revolutionäre an Radlmaiers Kino besteht denn auch weniger in den Ideen, die er verhandelt, als vielmehr in der Form. Er gehört zu einer neuen deutschen Nouvelle Vague, die den Diskursfilm neu auflegt, aber durch die Komödie lustvoll sprengt. Obwohl alle Figuren in literarisch-romantischen Floskeln reden, ja eigentlich in einem Roman leben, der von Marx, Proust und Ehrenstein inspiriert ist, begeistert der Film durch seine Lust am Erzählen und Fabrizieren von absurden und verzwickten Situationen. Er greift alles dankbar auf, was einem gewissen Sergei Eisenstein abgeht.

Dessen Film OKTOBER ist gewissermaßen der Ausgangspunkt der Handlung, denn nachdem der mittellose Schauspieler und Träumer, der Leo Trotzki spielte, auf Stalins Anordnung aus dem Film herausgeschnitten wurde, ist er nun auf dem Weg nach Hollywood und bleibt an der deutschen Ostsee hängen. Da er sich als russischer Aristokrat ausgibt, zieht er das Interesse der liebessüchtigen Fabrikbesitzerin Oktavia Flambow-Jansen auf sich, die eine besondere Neigung zur Blutsaugerei und ihren ihr treu ergebenen Diener Jakob schon fast erledigt hat.

Eine Vampirkomödie in der Tat, und was für eine flamboyante Phantasie! Eisenstein mag keine Psychologie, heißt es an einer Stelle. BLUTSAUGER übernimmt vor allem das von ihm, außerdem wird der Filmschnitt zum wichtigsten Erzählmittel erhoben, während die Bilder oft von der romantischen Malerei inspiriert sind. Zur Methode gehört es, Laien mit charismatischen Schauspielerinnen wie Lilith Stangenberg und Corinna Harfouch zu mischen. Auf historische Authentizität läßt sich Radlmaier gar nicht erst ein. Endlich mal ein Film, der nicht versucht, den Geist der 20er-Jahre zu erfassen, sondern ein ganz eigenes zeitliches Fluidum herstellt. Abstrakt und unterhaltsam zugleich.

[ Andreas Körner ]