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Brownian Movement

Nichts werten, nichts erklären, nichts zerreden – ein Film aus der Distanz

Das Leben, wohltemperiert in geordneten Bahnen. Charlotte (einfach großartig: Sandra Hüller) ist Mitte Dreißig, erfolgreiche Ärztin, glücklich verheiratet, Mutter eines kleinen Sohnes. Ein Bürgeridyll-Leben ohne falschen Schein. Ein Glück, für das Charlotte dankbar ist.

Daran läßt die niederländische Drehbuchautorin und Regisseurin Nanouk Leopold in ihrem Film BROWNIAN MOVEMENT keine Sekunde einen Zweifel aufkommen. Charlotte lebt nicht in einem goldenen Käfig, sie lebt so, wie sie es will. Charlotte treiben keine Emanzipationsbedürfnisse um, denn Charlotte ist, was man gemeinhin emanzipiert nennt. Eine intelligente, selbstbewußte und selbstbestimmte Frau. Und genau da sitzt hier der Stachel im Fleisch. Denn heimlich mietet Charlotte ein Zimmer. Ein Zimmer, in dem sie sich mit Männern trifft. Männer, die sie aus der Klinik rekrutiert, in der sie arbeitet. Fette, unattraktive, alte, sieche Männer. Männer, die so ganz anders sind als jener, den Charlotte liebt, mit dem sie verheiratet ist. Mit diesen Männern hat Charlotte Sex, und man kann die ausgelaugte Formulierung einmal benutzen: Charlotte gibt sich diesen Männern hin. Lustvoll.

Diese Exposition ist famos. Auch in der Inszenierung. Unterkühlt, protokollierend. Das ist geschickt in der Art, wie hier Sex gezeigt wird. Explizit und distanziert zugleich nämlich. Aber tatsächlich kühn an BROWNIAN MOVEMENT ist, wie darin alles Psychologisierende vermieden wird. Kein Werten und Erklären verflacht das, was Nanouk Leopold hier zeigt: eine Frau, ihr Geheimnis. Und die seltsame, unergründliche, auch destruktive Kraft des Eros.

Denn Charlottes Geheimnis wird auffliegen. Die Ehe, ihre (bürgerliche) Existenz, mithin ihr Leben, werden bis in die Grundfesten erschüttert. Doch selbst dann, wenn der Film, der, dramaturgisch geschickt in drei Kapitel plus Epilog strukturiert ist, sich nach dem seltsam faszinierenden ersten Kapitel mitunter in erzählerischer Stagnation verliert, bleibt „das Geheimnis“ erhalten. Das des Films und das von Charlotte, die der Film eben nicht verrät. Charlotte bleibt eine Sphinx. Die Psychologin, zu der sie muß, wird ihr das böse Übel nehmen. Ihr Mann droht daran zu zerbrechen.

Ans Ende stellt Leopold eine sanft hoffnungsvolle Utopie. Ein Insistieren zum „Hinnehmen“. Ein Plädoyer für das Akzeptieren. Für ein Stück Fatalismus im Namen der Liebe.

Originaltitel: BROWNIAN MOVEMENT

NL/Belgien 2010, 100 min
Verleih: Filmlichter

Genre: Drama, Erotik

Darsteller: Sandra Hüller, Sabine Timoteo, Dragan Bakema, Ryan Brodie

Regie: Nanouk Leopold

Kinostart: 28.07.11

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.