Originaltitel: BONNARD, PIERRE ET MARTHE
F/Belgien 2023, 123 min
FSK 0
Verleih: Prokino
Genre: Drama, Biographie, Liebe
Darsteller: Cécile de France, Vincent Macaigne, Stacy Martin, André Marcon, Anouk Grinberg
Regie: Martin Provost
Kinostart: 05.06.25
Überliefert ist das Zitat einer Nichte des französisch-polnischen Kunstmäzens, -sammlers und -kritikers Thadée Natanson, das die Malerin Marthe Bonnard beschreiben soll. Scharfe Augen von pflanzlicher Fixierung hätte sie gehabt. Und Natanson selbst als einer der Fixpunkte in Pariser Kunstkreisen zwischen Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts sagte über Marthe: „Sie erinnert mich an einen verhuschten Vogel mit Vorliebe für Wasser und Lust am Baden, mit einem schwerelosen Gang, der aus den Flügeln kommt.“
Wer also sollte dieses Verhuschte, Schwerelose, Vogelgleiche auf der Leinwand am besten verkörpern können? Rasch fällt einem die Belgierin Cécile de France ein, und fürwahr, sie macht es ganz wunderbar. Denn zu all dem Beschriebenen kommen noch die innere und äußerliche Stärke der Figur hinzu, Kraft, Verletzlichkeit, das gewisse Kesse. Das alles und das launige Spiel der Scheinidentität als adelige Marthe de Méligny oder Marthe Solange, mit der die 1869 als Maria Boursin geborene junge Frau ihre schlichte Herkunft zu kaschieren versuchte.
Martin Provost konnte eine solche Biographie nur gefallen, denn sie paßt in die Fragen der Zeit. Mit SÉRAPHINE und VIOLETTE hatte der belgische Regisseur erste filmische Antworten für eher unterbelichtete Künstlerinnen wie die Malerin Séraphine Louis und die Schriftstellerin Violette Leduc gegeben, wobei er die Hauptrollen schon dort mit Yolande Moreau und Emmanuelle Devos exzellent besetzt hatte. DIE BONNARDS – MALEN UND LIEBEN schließt hier im Grunde nahtlos an, obwohl der neue Film allein vom Titel her – im Original BONNARD, PIERRE ET MARTHE benannt – einen anderen Ton anschlägt. Deutlicher als in den Vorgängern entwickelt Provost die Konturen einer Frau über ihre fünf Jahrzehnte überspannende Liebe zu einem Mann.
Kern der Handlung bleibt stets diese leidenschaftliche, kaum einfache, weil in Abgründen riskante und um Gleichberechtigung ringende Beziehung, die sich noch dazu in pittoreskem Gefilde entwickeln darf. Was anders ist das Anwesen Ma Roulotte in Vernon? Mehr als ein Fluchtort auf jeden Fall, wenn einem das 80 Kilometer entfernte Paris auf den Wecker geht. Die Freunde können ja anreisen, per Zug und Ruderboot, denn die Seine fließt gleich hinter der Wiese, und sie lockt zum Bade.
Pierre Bonnard wird sich als Maler in Sachen Ruhm nie recht aus den Schatten der Kollegen seiner Epoche bewegen. Doch zumindest verkauft er, und es genügt, um ein standesgemäßes Leben aufzubauen. Claude Monet kommt regelmäßig zu Besuch, bewundert offenherzig bei Wein und Gänseleberpastete das Wesen von Marthe, die seinem Freund Muse ist und Inspiration, aber auch Licht in dunklen Momenten der Zweifel. Was aber ist Marthe für sich selbst?
Genügsam und voller Esprit gibt sie sich der Liebe hin, genießt die ungezwungene Körperlichkeit, den Sex, das Bewirten. Und doch will sie heiraten, Kinder bekommen, die Ehe als Status für Verbindlichkeit. Pierre entzieht sich immer wieder, will „kein schlechter Vater sein“, ignoriert Marthes Wunsch, „eine gute Mutter zu sein.“ Selbst als er, fast zu viel des männlichen Künstlerklischees, eine Affäre mit einer jungen amerikanischen Studentin eingeht und eine Ménage à trois anregt, macht Marthe anfangs noch mit. Der Bruch aber liegt jederzeit in der flirrenden Luft der Normandie.
Marthe findet eine angemessene Reaktion: Sie beginnt, selbst zu malen, die Kreide wird zur Vertrauten. In der Firma Trousselier hatte sie Seidenblumen gefaltet, Pierre holte sie von der Straße weg vor seine Staffelei, weil er zunächst nur ein neues Modell suchte, bevor Marthe ihn in Windeseile zu überwältigen wußte. Sie wollte nie nur posieren. Über 140 Gemälde und 700 Zeichnungen existieren, auf denen Marthes Körper zu sehen ist. Das Gesicht sehr selten …
DIE BONNARDS – MALEN UND LIEBEN ist ein sinnlicher (Sommer-)Film, ein Liebesfilm, kein Film über Kunst, es sei denn über jene, die Liebe überhaupt zu meistern. Als Marthe zu malen beginnt, kommt es sogar abrupt und überraschend. Cécile de France aber überrascht nicht. Sie bestätigt.
[ Andreas Körner ]
Schauburg: 16:30
Schauburg: 19:30
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