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Diese Nacht

Von Kunst und Gekünstel

Der Autor Joseph Brodsky sagte einmal, daß – so es wirklich welche ist – Poesie das Leben nicht imitiert, sondern infiziert. Selbstredend kann man getrost das Wort „Poesie“ durch „Kunst“ austauschen und sich dabei an eine Anekdote Werner Schroeters erinnern. Der erzählte, daß er, als er mit 13 Jahren das erste Mal im Radio Maria Callas hörte, umgehend alle seine Mathematikbücher in den Müll schmiß. Ein wunderbarer Akt, erfunden oder nicht, der nicht nur sehr viel über den Menschen Schroeter aussagt, sondern auch einiges Erhellendes über dessen Kunst.

Sieben Jahre liegt Schroeters letzter Film DEUX inzwischen zurück. In diesen sieben Jahren inszenierte er Theater und Oper. Reiste wie eh durch die Welt. Erkrankte an Krebs. Und drehte DIESE NACHT – nach dem Roman von Juan Carlos Onetti. Auf der Suche nach seiner Geliebten hetzt der einstige Widerstandskämpfer Ossario durch die Straßen einer Hafenstadt im Bürgerkriegstaumel. Chaos und Terror sind allgegenwärtig. Ossario trifft alte Kameraden und Feinde, gespensterhafte Figuren zwischen Agonie und Delirium, allesamt den Tod erwartend. Eine Welt in der Selbstauslöschung als allegorischer Taumel.

Auch in DIESE NACHT zelebriert Schroeter seine spezielle Mischung aus Pathos, Rausch und Manierismus. Eros und Tod lauern da an allen Ecken und Enden. Kunst sowieso. Schon während des Vorspanns schwebt da die Kamera über Tizians „Häutung des Marsias“; ein Bild, dessen grauen- und lustvolle Schönheit wohl etwas wie eine Zielvorgabe für Schroeter war. Zudem gibt es Shakespeare-Zitate, Bachkantaten, Callas-Arien ... Und der gestürzte Diktator sprengt sich zu Rossinis „Stabat Mater“ in die Luft.

Ja, Schroeter läßt es krachen. Und manchmal ist das grandios, manchmal beliebig, manchmal einfach nur lächerlich in seiner geschmäcklerischen Überfrachtung. Und doch: Da ist endlich mal wieder ein Film, der was riskiert. Schon allein, weil er empathisch wie eine Diva und ebenso formversessen und erklärungsresistent ist. Weil Schroeter sich konsequent in seiner Welt bewegt, die, will man ihm in diese folgen, eben außer einem Minimum an Wissen auch die Bereitschaft zur Anstrengung erwartet. Und bei allem, was man durchaus gegen DIESE NACHT vorbringen mag: Der Film ist keiner, der bloß die Wirklichkeit, das Leben imitiert. Ob ihm aber die Kraft zu infizieren innewohnt, wird sich indes erst noch zeigen müssen.

Originaltitel: NUIT DE CHIEN

F/D/Portugal 2008, 118 min
Verleih: Filmgalerie 451

Genre: Literaturverfilmung, Liebe, Drama

Darsteller: Pascal Greggory, Bruno Todeschini, Jean-François Stévenin, Amira Casar

Regie: Werner Schroeter

Kinostart: 02.04.09

[ Steffen Georgi ] Steffen mag unangefochten seit frühen Kindertagen amerikanische (also echte) Western, das „reine“ Kino eines Anthony Mann, Howard Hawks und John Ford, dessen THE SEARCHERS nicht nur der schönste Western, sondern für ihn vielleicht der schönste Film überhaupt ist. Steffen meint: Die stete Euphorie, etwa bei Melville, Godard, Antonioni oder Cassavetes, Scorsese, Eastwood, Mallick oder Takeshi Kitano, Johnny To, Hou Hsia Hsien ... konnte die alten staubigen Männer nie wirklich aus dem Sattel hauen.