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Dreiviertelmond

Ein alter Knochen wird weich

Wenn er Kaffee trinken will, geht er ins Café, braucht er Schuhe, kauft er sie im entsprechenden Geschäft. Was also bitte soll das Schuhcafé seiner Tochter? Eine treffliche Haltung für eine Type wie Hartmut. Wer auf seinen schmalen Mund schaut, aus dem er flucht, daß ihm die Ausländer die Taxifahrten wegnehmen, wer dieses Festklammern an seiner Strickjackenpiefigkeit sieht, dieses Trauern um die guten alten Zeiten, als man beim Bauern kaufte und die Hälfte bezahlte, während man heute Bio nimmt und dafür das Doppelte hinlegt, der weiß: Hier hat ein Mann schon längst nicht mehr nur den Blues, hier ist einer frustriert, angeschossen und verlassen. Christa hat das Weite gesucht, lange nach der Silberhochzeit, seine Tochter sucht ihm Best-Ager-Trips raus, wo seiner Meinung „ ... das Arschwischen extra kostet!“ Hartmut ist satt und hat genau eines noch gebraucht: Dieses kleine Kopftuchmädchen, das eines Tages bei ihm im Taxi hockt und ihm nicht mehr von der Seite weicht.

Daß die kleine Türkin namens Hayat in ihrer Notsituation nicht nur Hartmut braucht, sondern daß letztendlich sie es ist, die ihn aus seinem geradezu asozialen 6-Uhr-Wecker-Filterkaffee-18Euro10-Taxometer-Fußmattenausklopf-Rhythmus holt, weiß das Publikum naturgemäß früher, als es der alte Meckerhans tut. Das aber nimmt der anrührenden, mit pointiertem Witz erzählten Geschichte so gar nichts an Reiz, denn DREIVIERTELMOND ist nach KIRSCHBLÜTEN – HANAMI erneut ein kleiner großer Film des kleinen großen Elmar Wepper, der im Alter endlich als kinotauglich erkannt wurde. Wepper wirkt wie hineingeboren in diese Ledercouchseligkeit von Hartmuts akribisch geordneter und mit verzweifelt-teuren, jedoch billig wirkenden Puppen ausgestatteter Gehörntenbude. Er spielt mit Bravour diese Hilflosigkeit, diesen verletzten Stolz eines von seiner Frau abgewiesenen, in die Jahre gekommenen und nun mit diesem Zwerg vorerst völlig überforderten Mannes.

Christian Züberts Film trägt das Herz am rechten Fleck, also läßt er uns daran teilhaben, wie ein alter Knochen weich wird, tut dies im angebrachten Tempo, denn es geht nicht nur um den nächsten schnellen Witz, auch wenn der einer solchen unfreiwilligen Paareskonstellation natürlich innewohnt. DREIVIERTELMOND wählt einen Weg, der mal zu Tränen rührt, mal zum Lachen anregt, und er bleibt nah an der Filmographie Weppers. Weshalb es diesmal nach dem Fujiyama die Galatabrücke ist, auf der sich Hartmut an den unzähligen Anglern vorbeibewegt und schließlich unter die Einkaufstouristen auf der Istiklâl Caddesi mischt. Allein, aber nicht mehr einsam. Schön!

D 2011, 94 min
FSK 6
Verleih: Majestic

Genre: Tragikomödie, Poesie

Darsteller: Elmar Wepper, Mercan Türkoglu

Regie: Christian Zübert

Kinostart: 13.10.11

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.