D 2021, 186 min
FSK 12
Verleih: DCM

Genre: Literaturverfilmung, Drama

Darsteller: Tom Schilling, Saskia Rosendahl, Albrecht Schuch, Meret Becker

Regie: Dominik Graf

Kinostart: 05.08.21

3 Bewertungen

Fabian oder der Gang vor die Hunde

Großstadt-Odyssee nach Kästner-Art

Nach dieser Fülle von Berlin-Filmen und -Serien hatte man auf eines wohl kaum noch gewartet: einen weiteren Berlin-Film. Aber wenn schon Berlin, dann doch so, wie es Dominik Graf in seiner Erich-Kästner-Verfilmung auf die Leinwand wirft. Ein Berlin-Panoptikum, das durchlässig wird für die trügerischen Hoffnungen der Großstadtbewohner, denen sie schon selbst nicht mehr trauen. Sie kommen aus dem Nirgendwo und gehen dahin zurück. Mit ihnen wird die Weimarer Republik wieder versinken. Die nächste Machtübernahme steht bevor, wie lange Schatten ragen die Nazi-Parolen in die Gegenwart hinein. Es ist alles verloren, bevor es anfängt, aber noch dreht sich das Karussell, und die Liebe passiert dem Titelhelden Fabian, in diesem Augenblick.

Anders als Volker Kutscher, der die Vorlagen für BERLIN BABYLON lieferte, hat Kästner aus seiner Zeit heraus geschrieben und seine Hauptfigur ein wenig autobiographisch gefärbt. Fabian, der wie HERR LEHMANN nur beim Nachnamen genannt wird, ist ein Drifter-Typ, wie ihn Tom Schilling seit OH BOY am besten spielt. Fabian aus Dresden also, mit Ambitionen zum Schriftsteller, aber Broterwerb als Werbetexter, treibt zwar durch die berüchtigte Berliner Nachtwelt, hält sich aber am Rande, als lakonisch-distanzierter Beobachter. Das Abtauchen in den Strudel der Zeit und der Gefühle überläßt er seinem Kumpel Labude, einem Schnösel mit Abgründen. Bis Fabian eine neue Zimmernachbarin bekommt, die Rechtsreferendarin Cornelia, mit Ambitionen zur Schauspielerei. Die gleiche Rolle wie heute spielten 1930 die Fragen: Was zahlst Du für das Zimmer? Was ist der Preis für die Selbstverwirklichung? Was passiert mit den Liebenden, wenn ihre soziale Balance aus dem Gleichgewicht gerät?

Immer mal wieder schimmert das Heute durch, etwa wenn die Protagonisten auf das Berliner Pflaster treten und zwischen Stolpersteinen stehen. Durchlässig macht sich der Film auch für seine literarische Vorlage, traut sich sogar zwei Erzählerstimmen zu, die Kästners Wortmelodie in den Bildern verankern. Im Strudel schneller Schnitte und treibender Klavierklänge sorgen sie für ironische Distanz. Ohne Humor kommt bei Kästner selbst die Tragik nicht aus.

Drei Stunden verfliegen wie im Traum. Erstaunlich ist bloß, daß der Preisregen der Berlinale an dieser gewagten und gelungenen Literaturverfilmung komplett vorbeiging. Hatten die Jury-Mitglieder ihre großen Cineasten-Brillen vergessen?

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...