Originaltitel: KUOLLEET LEHDET

Finnland/D 2023, 81 min
FSK 12
Verleih: Pandora

Genre: Drama, Liebe

Darsteller: Alma Pöysti, Jussi Vatanen, Janne Hyytiäinen, Nuppu Koivu

Regie: Aki Kaurismäki

Kinostart: 14.09.23

5 Bewertungen

Fallende Blätter

Zarte Romanze vom Meister der Lakonie

Da sitzen sie wieder, die stoischen Finnen, schauen schweigend in ihr Glas und rauchen Kette. Ihre Gefühle drücken sich allein in der Musik aus, die melancholischen Lieder über diesen Kneipenszenen handeln von der tiefen Sehnsucht nach Liebe, die entweder schon vergangen ist oder auch nie kommt. Das Erinnern oder das Warten genügen als Ersatzhandlung. Das Leben mit all seiner Last, all seinen Enttäuschungen hat sich tief eingebrannt in die markanten Gesichter. 

Wir sind in einem Film von Aki Kaurismäki – wo auch sonst. Im Grunde macht er in seinem neuen Werk FALLENDE BLÄTTER das, was er seit Jahrzehnten macht: kleine Geschichten von kleinen Leuten erzählen, die es schwer haben. Aber das tut er so ausgefeilt und in 81 Minuten auf den Punkt gebracht, daß man immer noch gern hinschaut. Das liegt natürlich auch an den Bildern von Kaurismäkis Stammkameramann Timo Salminen. Es sind sorgsam arrangierte Tableaus in Rot und Blau, manchmal kommt auch ein Grün, Gelb oder Weiß hinzu.

Kaurismäkis Filme sind ein Antidot zu Plapperei und Hysterie unserer Tage. Für das Wesentliche genügen Blicke. Es gibt kein Psychologisieren, kein Warum und Wieso, die Menschen sind eben, wie sie sind und es immer schon waren. Deshalb ist die Zeitverortung in seinen Werken meist in der Schwebe, sie spielen sozusagen in Kaurismäki-Zeit. Nachrichten über den Krieg in der Ukraine ertönen aus altmodischen Radios. Ein

Wandkalender zeigt das Jahr 2024, und seine Protagonisten nutzen diesmal sogar Handies, aber eine wichtige Telefonnummer wird auf einen Zettel geschrieben. Und im Kino laufen nur Filme aus längst vergangenen Jahren. 

Wie schon oft sind seine Helden auch dieses Mal Außenseiter am Rande der Gesellschaft, die herumgeschubst werden und sich von einem prekären Job zum nächsten lavieren. Den Zumutungen der Gesellschaft begegnen sie mit einer Mischung aus Eigenwilligkeit und Trotz. Die stille Ansa räumt Produkte im Supermarkt ein, bis sie gefeuert wird, weil sie abgelaufene Lebensmittel verschenkt. Der schlaksige Holappa hingegen schuftet auf einer Baustelle. Die Staublunge wird ihn ohnehin eher erledigen als das Kettenrauchen, tut er seinem Kollegen und einzigen Freund Huotari unbewegt kund. Wenn es der Alkohol nicht vorher tut, den Flachmann versteckt er immer unter der Jacke.

Ansa und Holappa haben sich in ihrer Einsamkeit eingerichtet. Sie besitzt nicht einmal einen zweiten Teller, er pennt in einer Gemeinschaftsunterkunft. Doch eines Tages begegnen sie sich – wo könnte es anders sein – in einer Kneipe. Es ist Karaoke-Abend, und Huotari singt einen herzzerreißenden finnischen Schlager. Ansas Freundin Liisa genügt er trotzdem nicht, sie findet den graumelierten Typen zu alt. Überhaupt genügen die Menschen nie den Ansprüchen: nicht denjenigen des Arbeitsmarktes, nicht denjenigen der Anderen und erst recht nicht den eigenen. Aber darüber reden sie natürlich nicht, sondern beschweigen es hartnäckig.

Während es bei Liisa und dem sangesfreudigen Huotari nicht recht funkt,

entwickelt sich zwischen Ansa und Holappa aus beredten Blicken eine zarte Romanze. Wenn ihnen das Leben nur nicht immer wieder Steine in den Weg legen würde. Sei es in Form verlorener Zettel, eines Straßenbahnunfalls oder der eigenen Sturköpfigkeit. Dazwischen gibt es immer wieder Musik, die mindestens ebenso wichtig ist wie die Bilder. Wenn das in Finnland populäre, platinblonde Schwestern-Duo „Maustetytöt“ mit versteinerter Miene davon singt, „bis zu den Knien in Beton zu stecken“, ist der depressive Tiefpunkt erreicht. 

Aber der bei aller Bärbeißigkeit große Humanist Kaurismäki läßt seine Protagonisten dann doch nicht bodenlos im Morast der Hoffnungslosigkeit versinken. Staubtrockener Humor fängt die Erdenschwere immer wieder auf. Doch vor allem sind es die kleinen Akte der Solidarität in einer harschen Welt, die als Mittel gegen die allgemeine Ohnmacht wirken. Zusammenhalt und Liebe das Einzige, was uns vom Abgrund trennt.

[ Dörthe Gromes ]