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Gerdas Schweigen

Vom Recht auf ein persönliches Schicksal

„Ich kann Dir erzählen von Auschwitz, aber den Rest ...“, den wollte Gerda eigentlich mit ins Grab nehmen. Die amerikanische „Großtante“ des Filmkritikers Knut Elstermann hatte ein Geheimnis, bis ins hohe Alter, bis Elstermann zu ihr kam und nachhakte. Nicht über Auschwitz wollte sie schweigen, sondern darüber, daß sie dort ein Kind zur Welt gebracht hat, und es vor ihren Augen verhungert ist. Ein uneheliches Kind. Das ist es, was sie ihrem späteren Ehemann in New York und ihrem Sohn nicht erzählen konnte, und was sie dem deutschen Journalisten dann doch erzählte für sein Buch „Gerdas Schweigen.“

Es ist erstaunlich, daß Gerda, die sich zur NS-Zeit in Berlin ihren Stern abriß und illegal auf die Straße ging, die deportiert wurde und auf abenteuerliche Weise nach Berlin zurückkehrte, daß diese mutige Frau so feste moralische Grundsätze geltend machte und sich somit selbst der Chance beraubte, ihren Kummer zu teilen. Aber wer den Dokumentarfilm von Britta Wauer gesehen hat, beginnt es zu begreifen; begreift vor allem das persönliche Schicksal, nicht den namenlosen Schrecken des Konzentrationslagers.

Der Film entgeht dabei souverän der Gefahr, nur zu einer Bebilderung des Buches zu werden. Es geht nicht darum, daß Gerda vor der Kamera wiederholt, was sie schon einmal erzählt hat. Das allein wäre zwecklos gewesen. Sondern er zeigt auch die Folgen der Buchpublikation für Gerda und ihre Familie und führt Elstermann selbst als einen der Protagonisten ein. Persönlich und ehrlich reflektiert er über die Entstehung seines Buches und die journalistische Auseinandersetzung mit einem solchen Thema.

Fließend schafft der Film die Übergänge zwischen den Realitäten: Dem Berlin der Vorkriegs- und Kriegszeit sowie der DDR-Zeit, dem New York des Neuanfangs und der Jetztzeit, und er findet Bilder, die für die große Leinwand geeignet sind. Als emotionales Bindemittel nutzt er einen dichten Teppich Filmmusik, der gut und gern aus einem Hollywoodfilm stammen könnte. Doch was im Spielfilm schnell zum Nervtöter wird, erfüllt hier seinen Zweck.

All das zusammen verdeutlicht auf vielschichtige Weise, wie sehr die Vergangenheit bis in die Gegenwart greift, und daß Gerda nicht bloß eine Zeitzeugin ist.

D 2008, 90 min
Verleih: Piffl

Genre: Dokumentation, Biographie, Literaturverfilmung

Stab:
Regie: Britta Wauer
Drehbuch: Knut Elstermann

Kinostart: 22.01.09

[ Lars Meyer ] Im Zweifelsfall mag Lars lieber alte Filme. Seine persönlichen Klassiker: Filme von Jean-Luc Godard, Francois Truffaut, Woody Allen, Billy Wilder, Buster Keaton, Sergio Leone und diverse Western. Und zu den „Neuen“ gehören Filme von Kim Ki-Duk, Paul Thomas Anderson, Laurent Cantet, Ulrich Seidl, überhaupt Österreichisches und Skandinavisches, außerdem Dokfilme, die mit Bildern arbeiten statt mit Kommentaren. Filme zwischen den Genres. Und ganz viel mehr ...