Originaltitel: THE GIRL ON THE TRAIN

USA 2016, 105 min
FSK 16
Verleih: Constantin

Genre: Thriller, Drama, Literaturverfilmung

Darsteller: Emily Blunt, Haley Bennett, Rebecca Ferguson, Justin Theroux, Luke Evans

Regie: Tate Taylor

Kinostart: 27.10.16

1 Bewertung

Girl On The Train

Drei Frauen – und ein Mord?

Nehmen wir den üblichen Aufschrei direkt vorweg: Der Roman ist selbstredend hundertmal besser, die Film-Rachel zwei Kilo schwerer als in der persönlichen Imagination, Lieblingsdialoge fehlen, und überhaupt, buh-heul-aufstampf! So, das mußte wohl sein angesichts einer Adaption des am schnellsten verkauften Romans für Erwachsene in der Geschichte – wer auch immer solche Statistiken führt. Lösen wir uns daher vom „Bestseller, der die Welt schockierte“, wie das Plakat informiert, betrachten den Film fortan als jenes eigenständige (Kunst-)Werk, welches er ist, und lernen beginnend drei Damen kennen.

Zunächst Rachel, geschieden, lallt manchmal fremde Leute an, eine klare Alkoholikerin. Fährt jeden Tag die identische Zugstrecke und träumt sich ins Leben von Megan. Sie wohnt beobachtbar am Gleis und scheint makellos: jung, offenbar glücklich verheiratet, Nanny bei Anna. Die wiederum definiert sich hauptsächlich über den Status als Frischmutter, gab alles auf – und hat Rachels Ex-Mann zur Seite. Eine potentiell explosive Dreier-Kombi, in den 80ern hätte der zugehörige Thriller beispielsweise EINE VERHÄNGNISVOLLE AFFÄRE geheißen und wäre strikt simplen Pfaden gefolgt: Psychopathische Single-Furie (hier: Verlassene) wirft sich an notgeilen Gebundenen (Ehemaligen) ran, zerstört fast die (neue) Familie und kriegt dafür am Ende ihre moralisch gerechte, letale Strafe. Glücklicherweise geht’s anno 2016 differenzierter zu.

Man interessiert sich für Figuren und Details, Rachels schleppenden Gang und trübe glotzende Augen, daraus schreiende Einsamkeit. Oder dafür, daß Megan regelmäßig läuft, und zwar hauptsächlich vor sich selbst davon, während Anna stets zu fröhlich Mama-Freuden und Baby preist. Erst unterschwellig brodelndes Unheil bricht sich stückchenweise Bahn, Zeitenwechsel sowie Vergangenheitsblicke reißen dem Trio sorgfältige Verhüllungen herunter, was wirklich passierte, entpuppt sich als Frage der subjektiven (gewollten) Wahrnehmung. Ein klug gebautes Vexierspiel verwirbelt Sympathien, verstrickt weitere Personen, schickt den Zuschauer auf Reisen durch Seelen, Psychosen, Gedankensplitter und Gefühlscanyons. Bis Rachel unverhofft etwas sie vollkommen aus dem Gleichgewicht Werfendes beobachtet, einen Blackout später blutverschmiert aufwacht und erfährt, daß Megan spurlos verschwand.

Was hat Rachel gesehen – oder getan? Jener Frage geht die restliche Laufzeit nun ohne, um beim obigen Affären-Kracher zu bleiben, im Kochtopf versenkte Kaninchen nach, unbeirrt voller Ruhe, emotional intensiv, vor allem von Emily „Rachel“ Blunt herausragend gemimt. Dazu schickt Danny Elfman seine verspielten Tim-Burton-Scores aufs Altenteil, unterfüttert das sukzessiv fester verdrehte Lügen-und-Einbildung-Geflecht durch Klänge zwischen wuchtig-bedrohlicher akustischer Verstörung und melancholischer Zurückhaltung. Am Ende muß man zwar objektiv betrachtet doch zusehen, wie ein sorgfältig aufgebautes mehrstöckiges Handlungshaus zum überschaubar gequetschten Plotbungalow zusammenfällt, zumal die genüßlich abgelichtete Brutalität des finalen Showdowns scheinbar darin bestehen soll, niedere Instinkte (Rache! Ausgleichende Gerechtigkeit! Gröl!) anzusprechen.

Sollte aber tatsächlich klappen, weil sich die Auflösung dessen, was geschah, zwar schon wenig überraschenden Konventionen anschmiegt, dies allerdings unter Einsatz ausreichender inhumaner Kälte, damit vor der Leinwand fröstelnde Gänsehaut rieseln kann.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...