Noch keine Bewertung

Habermann

Klischeebeladener Geschichtsunterricht

Das Sudetenland in den 30er Jahren. In der vierten Generation betreibt die Familie Habermann hier ein großes Sägewerk. Friede und Eintracht herrschen in dem beschaulichen Dorf, und die Hochzeit von August und der schönen Jana wird zum Volksfest, und alle sind glücklich und zufrieden. Doch im Hinterzimmer dröhnt schon die Losung „Heim ins Reich“ aus dem Radio, und der, der das durchsetzen soll, folgt auf den Fuß. Und mit ihm all das, was man von einer solchen Geschichte erwartet.

Sturmbannführer Koslowski ist das Abbild des bösen Deutschen. Und die Besetzung mit Ben Becker als Bilderbuchnazi zeigt das Ausmaß der Vereinfachung. Wie er wirken alle Figuren in dieser Hochglanzproduktion wie Marionetten in einem Theater. Ein guter und ein böser Deutscher, ein guter und ein böser Tscheche, und außerdem viele unbeteiligte Mitläufer. Und so hölzern wie die Charaktere geraten sind, ist auch die Umsetzung. Selbst das Licht wird hier zum Klischee, wenn sich der Obersturmbannführer hinter dem riesigen Schreibtisch in einem bedrohlichen Halbdunkel verbirgt, um sich dann in einen sauber vernebelten Lichtstrahl vorzubeugen. Fesselnd und ergreifend wird die Geschichte immer dann, wenn Karel Roden auftritt. Der tschechische Darsteller zeigt die Tiefe und Verletzlichkeit, die den anderen Figuren fehlt. In seinen Blicken und seinen Gesten findet man die Vielfältigkeit, die Suche nach einem Weg und das Wissen um die Hoffnungslosigkeit dieser Suche, die dem Thema des Films innewohnt.

Eine deutsch-tschechische Ko-Produktion, die sich der Vertreibung deutschstämmiger Siedler aus den tschechischen Gebieten nach dem zweiten Weltkrieg widmet, ist ein mutiges, ja vielleicht sogar historisches Ereignis. Es sollte ein Befreiungsschlag sein, doch leider hat die Freiheit der Gestaltung unter der historischen Last gelitten. Das übertriebene Bewußtsein für geschichtliche Verbindlichkeiten und der Drang nach Verständigung degradieren den Film zur Unterrichtsstunde. Doch so einfach ist Geschichte nicht. Der Wille, ein solches Projekt zu realisieren, ist lobenswert. Jedoch sollte eine freie künstlerische Gestaltung nicht unter politischen Doktrinen leiden. Denn unterm Strich haben wir es hier immer noch in erster Linie mit einem Kinofilm und nicht mit einer Lehrveranstaltung zu tun. Und es stellt sich die Frage, ob es dann nicht klüger ist, solche Projekte noch aufzuschieben.

D/Österreich/Tschechien 2010, 104 min
FSK 12
Verleih: Farbfilm

Genre: Historie, Drama, Polit

Darsteller: Mark Waschke, Hannah Herzsprung, Ben Becker, Franziska Weisz, Karel Roden

Regie: Juraj Herz

Kinostart: 25.11.10

[ Marcel Ahrenholz ] Marcel mag Filme, die sich nicht blind an Regeln halten und mit Leidenschaft zum Medium hergestellt werden. Zu seinen großen Helden zählen deshalb vor allem Ingmar Bergman, Andrej Tarkowskij, Michelangelo Antonioni, Claude Sautet, Krzysztof Kieslowski, Alain Resnais. Aber auch Bela Tarr, Theo Angelopoulos, Darren Aronofsky, Francois Ozon, Jim Jarmusch, Christopher Nolan, Jonathan Glazer, Jane Campion, Gus van Sant und A.G. Innaritu. Und, er findet Chaplin genauso gut wie Keaton ...