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Hin und weg

Großes, kraftvolles Kino über Selbstbestimmung, echte Freundschaft und das Wahren der Würde

Mit der selbstbetrügerischen Mär, daß es irgendwie leichter sei, einen geliebten Menschen zu verlieren, wenn man sich von ihm noch verabschieden kann, räumt der Film gewaltig auf. Die Schmerzenswucht jedweder Verlusttotalität ist gleichermaßen unerbittlich, was in Christian Züberts großartigem Film zwar eher im Subtext erzählt wird, aber maßgeblich für das Nachempfinden seiner Figuren ist. Denn wenn auch hier von einem „geplanten“ Sterben erzählt wird, ist Zübert klug und feinfühlig genug, nicht zu behaupten, daß es einen Leitfaden des perfekten Abschieds gäbe. Trauer ist ein Monster, so oder so. Doch das Besondere, ja, das auch irgendwie friedlich Stimmende an Züberts Film ist: Er entläßt seinen Zuschauer gewiß tränenüberströmt wieder in sein ganz eigenes Universum, aber eben nicht geschwächt und schon gar nicht allein. Und auch das gelingt subtil genug, denn HIN UND WEG will kein Erbauungswerk sein.

Erst einmal ist alles wie immer. Hannes strampelt auf dem Hometrainer, er bereitet sich auf die lange Radtour vor, die er alljährlich mit seinen engsten Freunden und dem Bruder unternimmt. Einzig das Ziel stimmt die Gruppe etwas skeptisch und verleitet zum Spott: Ausgerechnet nach Belgien geht’s, ins Land der Waffelfresser und Pralinenficker! Der Trupp tobt, man stachelt sich gegenseitig an, Hannes spielt mit, nur seine Frau Kiki schaut traurig zu ihm. Die erste Station ist das Haus von Hannes’ Mutter, am Tisch platzt er mit der Wahrheit heraus: Belgien wurde nicht wegen seiner unvergleichbaren landschaftlichen Schönheit ausgewählt, es ist Hannes’ letzte Reise. Er leidet unheilbar an ALS, seit einem halben Jahr geht es bergab, Ziel ist Ostende. Dort kann man nicht nur am Strand sitzen, dort darf man legal sterben.

Natürlich knallt das rein, zieht es dem Zuschauer derart die Füße weg, wie es Hannes’ Freunden den Boden raubt. Doch Christian Zübert zeichnet seine Hauptfigur als keinen, der Mitleid sucht, der über sein eigenes Sterben ausführlich reden geschweige denn darüber laut lamentieren mag, und diese Attitüde aus Ver- und Entschlossenheit gibt die Richtung vor, die für alle nach dem Hosenrunterlassen heißt: Jetzt erst recht! Deswegen erzählt HIN UND WEG durchaus mit Humor, der auch mal derber sein darf, der dennoch mit Hintersinn und aus Lebenserfahrung gespeist wird, denn Michi, Dominik und all die anderen Freunde Hannes’ sind keine albernen Teens, auch wenn sich gerade Michi in seiner Frauenwahl gern so benimmt. Sie alle haben Spuren im Gesicht. Das ist wichtig, Zübert vernachlässigt seine anderen Figuren nicht, auch wenn sie nicht diejenigen sind, denen derart Gewaltiges direkt bevorsteht, aber auch sie haben Kratzer im Seelenlack.

Das Ungewöhnliche, gerade fürs deutsche Kino, ist, daß HIN UND WEG wohltuend botschaftsfrei daherkommt, der Film gibt trotzdem Denkanstöße, die vor allem in Deutschland an einer bigotten Regierung (ver-)zweifeln lassen: Einerseits wird eine Gesellschaftsordnung propagiert, nach der man sein Leben in die eigenen Hände nehmen soll, wenn es aber um das Ende geht, sind einem diese dann gebunden. Ein erbärmliches Zeugnis eines Systems, das seinen Menschen das Wahren der Würde versagt.

Aber nochmals: HIN UND WEG ist kein runterziehender Fingerzeigappell, es ist die Geschichte um einen selbstgewählten Tod zu einem exakten Zeitpunkt, weil später für Hannes gar nichts mehr ginge. Es ist darüber hinaus eine Geschichte, in der herzlich gelacht werden darf! Ja, Zübert traut sich das, ein Glück! Als Aufhänger fungiert ein Bierdeckelspiel, in dem jedem eine noch zu erledigende Mutprobe zugeschrieben wird. Michi darf daher eine superbe Dragqueen geben, und beherztes Ohrfeigen eines Zeugen Jehovas ist auch noch drin.

Des Films großer Trumpf sind neben einem immensen Gespür für erzählerischen Rhythmus natürlich seine Schauspieler. Nicht nur Florian David Fitz besticht als Hannes, wobei es wirklich groß ist, wie er das Entschlossene und das Verzweifelte ausspielt, wenn kleine Risse zu Gräben werden. Ins Herz krallen sich vor allem Volker Bruch und Hannelore Elsner. Bruch spielt Hannes’ Bruder, zwischen den Jungs lag bis dato einiges im argen, die neuerliche, eben nicht zu späte Annäherung drückt einem um so mehr auf die Brust.

Und Hannelore Elsner schüttelt als Mutter endlich mal wieder die zu oft gespielte Mädchenhaftigkeit von sich. Wenn Irene ihren Sohn fast wortlos umarmt, wenn sie sich von ihm am Sterbebett verabschiedet, dann spielt Elsner diese kaum auszuhaltenden Momente in einer Reduktion, die gerade deshalb Sturzbäche beim Zuschauer verursacht. Christian Zübert ist ein Erzähler, dem immer dann unvergleichbare Intensität gelingt, wenn er ganz Normales in seiner schicksalhaft aufgezwungenen Anormalität zeigt: letzter Sex, der sich wie der erste anfühlt, diese Aufregung, diese Angst. Oder, wenn er von einer letzten Reise, den letzten Gesprächen und vom letzten Schweigen erzählt.

Das sind Momente, denen eine Melancholie eigen ist, die eben nix mit Larmoyanz, dafür viel mehr mit einer fast unbeschreibbaren Traurigkeit zu tun hat, der gar eine eigenwillige Kraft und Schönheit inneruhen.

D 2014, 95 min
FSK 12
Verleih: Majestic

Genre: Tragikomödie, Schicksal

Darsteller: Florian David Fitz, Jürgen Vogel, Hannelore Elsner, Miriam Stein, Volker Bruch, Julia Koschitz

Regie: Christian Zübert

Kinostart: 23.10.14

[ Michael Eckhardt ] Michael mag Filme, denen man das schlagende Herz seiner Macher auch ansieht. Daher sind unter den Filmemachern seine Favoriten Pedro Almodóvar, Xavier Dolan, François Ozon, Patrice Leconte, Luis Buñuel, John Waters, François Truffaut, Pier Paolo Pasolini, Ingmar Bergman. Er mag aber auch Woody Allen, Michael Haneke, Hans Christian Schmid, Larry Clark, Gus Van Sant, Andreas Dresen, Tim Burton und Claude Chabrol ...
Bei den Darstellern stehen ganz weit oben in Michaels Gunst: Romy Schneider, Julianne Moore, Penélope Cruz, Gerard Depardieu, Kate Winslet, Jean Gabin, Valeria Bruni-Tedeschi, Vincent Cassel, Margherita Buy, Catherine Deneuve, Isabelle Huppert ...
Eine große Leidenschaft hat Michael außerdem und ganz allgemein für den französischen Film.