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L’ Humanité

Drastisch-elegische Meditation über die Liebe zu den Menschen

Fast pünktlich zum diesjährigen Filmfestival von Cannes kommt der heftig und kontrovers diskutierte Preisträger des vergangenen Jahres ins Kino. Erzählt wird die Geschichte des naiven Polizeikommissars Pharaon de Winter. Er lebt mit seiner Mutter in einer kleinen Stadt in Flandern. Frau und Kind verlor er bei einem Unfall. Hin und wieder ist er unterwegs mit Domino und ihrem Freund Joseph. Die junge, laszive Fabrikarbeiterin ist Pharaons Nachbarin und er ist verliebt in sie. Gemeinsam mit seinen Kollegen ermittelt Pharaon in einem grausamen Mordfall. Ein kleines Schulmädchen ist vergewaltigt und umgebracht worden.

Trotz dieses Plots ist L’HUMANITÉ weder Polizeithriller noch Liebesfilm, sondern vielmehr der Versuch, eine Geisteshaltung in Bilder zu fassen - die freundliche Zuneigung zu den Menschen. Pharaon ist allen, die ihm begegnen, in Liebe zugetan, unabhängig von ihren moralischen Qualitäten. Mit kindlichem Habitus umarmt er einen frisch verhafteten Verbrecher, tröstet und küßt schließlich den überführten Mörder des kleinen Mädchens. Regisseur Dumont beläßt seine Hauptfigur im nebelhaften Allgemeinen, macht sie fremd und entrückt sie so dem verstehenden Zugriff des Zuschauers. Im krassen Gegensatz dazu steht die schockierende Körperlichkeit einiger Sequenzen: das Geschlecht des vergewaltigten Mädchens blutig und in Großaufnahme, Dominos Vagina begehrend und ungeschützt.

Natürlich ist Kino im glücklichsten Fall immer Transportmittel für große künstlerische Ideen. Doch Dumont kommt über eine pure Konzeption nicht hinaus, sondern bleibt im theoretischen Entwurf stecken. Indem er verbissen auf alle künstlerischen Mittel verzichtet, die einen Film über seine Grundkonstellation hinaus zusammenhalten, versperrt er den Zugang für emotionale Anteilnahme. Ohne zwingenden Verlauf, ohne Höhen und Tiefen plätschern die Geschehnisse vor sich hin. Nichts, was die Aufmerksamkeit über längere Zeit fesseln will. Und so bleibt die Idee hinter all dem ein intellektuelles Konstrukt, über dessen etwaige Brillanz sich auch nach viel zu langen zweieinhalb Stunden kaum etwas sagen läßt.

Originaltitel: L’HUMANITÉ

F 1999, 148 min
Verleih: Peripher

Genre: Drama

Darsteller: Emmanuel Schotté, Séverin Caneele

Regie: Bruno Dumont

Kinostart: 22.06.00

[ Sylvia Görke ]