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La Bohème

Oper als visueller Overkill

Die Handlung von Puccinis "La Bohème" dürfte zwar allgemein bekannt sein, doch nochmals in aller Kürze zur Auffrischung: Mimì und Rodolfo verbindet reine Liebe, welche allerdings von Armut sowie Mimìs schwerer Krankheit überschattet wird. Ungeachtet wahrer Gefühle und hilfsbereiter Freunde endet die Liaison tragisch. Klar, hier fehlen Unmengen an Details, aber mal ehrlich: Schaut sich irgendwer eine Oper wegen ihres Inhalts an? Eben.

Und erneut hieße es, Eulen nach Athen zu tragen, wollte man die Protagonisten dieser Leinwandadaption für deren Gesang loben. Zweifellos befinden sich Anna Netrebko und Rolando Villazón auf der Höhe ihrer Kunst, kein falscher Ton, kein Kiekser stört den musikalischen Genuß, selbst wenn das Orchester manchmal zu beherzt in den Raum schallt. Wir verzeihen es ebenso wie das besser zur Bühne passende, weil überdimensionierte Schauspiel – Opernstars sind eben eher selten auch fähige Akteure.

Schwerer wiegt sowieso die stets ohne Gnade auf den Effekt getrimmte Inszenierung. Sie fährt alles auf, was überhaupt nicht dem an sich statischen Geschehen einer Oper entsprechen will, bietet Zeitlupe, Weichzeichner, Fade Outs, eine hektisch kreiselnde Kamera und ähnliche Mätzchen. Dazu rieselt zentnerweise Schnee herab und hat der Ausstatter so ziemlich jeden Krempel aus der Requisite geholt, um die Kulissen bis zum Rand vollzustopfen, weswegen Rodolfo, obwohl verarmter Dichter, über mehr Dekorationsgegenstände verfügt als manches Möbelhaus. Immerhin fügt sich die ungeachtet gesundheitlichen Elends immer aufwendig geschminkte und tief dekolletierte Mimì da nahtlos ein.

Ihre Darstellerin Anna Netrebko freute sich im Interview, daß nur drei Wochen für Dreharbeiten nötig waren. Tatsächlich eine rekordverdächtige Zeit, welche man beim potentiellen nächsten Mal indes verlängern sollte, um auf Anschlußfehler zu achten. Derer gibt es nämlich unzählige: Zum Beispiel wurden der rollenbedingt todkranken Netrebko scheinbar per Filzstift Extrem-Augenringe gemalt, und schon Sekunden später sind sie wieder weg. Spontanheilung?

Okay, genug gemeckert. Was bleibt, sind natürlich trotz allem von unvergleichlichen Stimmen interpretierte Arien mit Gänsehautgarantie. Und man kann ja im Kino auch mal die Augen schließen, oder?!

D/Österreich 2008, 109 min
FSK 0
Verleih: NFP

Genre: Drama, Musik

Darsteller: Anna Netrebko, Rolando Villazón, Nicole Cabell, Vitalij Kowaljow, Tiziano Bracci

Stab:
Regie: Robert Dornhelm
Drehbuch: Robert Dornhelm

Kinostart: 27.11.08

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...