Originaltitel: LEARNING TO DRIVE

USA 2014, 90 min
FSK 0
Verleih: Alamode

Genre: Tragikomödie, Poesie

Darsteller: Patricia Clarkson, Ben Kingsley, Grace Gummer, Jake Weber, Sarita Choudhury

Regie: Isabel Coixet

Kinostart: 06.08.15

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Learning To Drive

Vier Könnerinnen und ein Triumph

Wie es heißt, existieren auf der Welt bloß sieben Geschichten, aber 1000 Wege, sie zu erzählen. Übertragen aufs Kino, könnte man sagen: Das Handlungs-Faß ist ausgeschöpft, jetzt geht’s darum, den Plot-Wein in möglichst attraktive Flaschen zu füllen. So auch hier. Und in der Tat kamen dafür ein paar ganz mustergültige Winzerinnen zusammen, zunächst Drehbuchautorin Sarah Kernochan, welche eine Alltags-Story zur hohen Kunst formt. Sie folgt Wendy, New Yorker Literaturkritikerin mittleren Alters, die nach 21 Ehejahren vom Gatten verlassen wird. Wendys Leben bricht in Scherben, Verzweiflung, Unverständnis und Wut wechseln einander ab, schließlich beschließt sie, endlich den Führerschein zu machen, war doch bislang der Mann für Transporte aller Art zuständig. Wendy trifft auf Darwan, indischer Taxifahrer und künftig ihr Lehrer, zudem klug, sanftmütig. Man nähert sich ...

Kernochan gelang ein vortrefflich subtiles Skript, sie weiß genau, daß nur durch die Nacht kommt, wer die Dämmerung übersteht, weswegen Wendy im Schmerz dumme Dinge tun darf, gar muß, und Darwans Einsamkeit ihm auf der Seele lastet, bis eine arrangierte Hochzeit Abhilfe schaffen soll, indes weitere zwischenmenschliche Not verursacht. Dies und geradezu nebenbei angeschnittene Themen wie Rassismus oder politische Verfolgung bilden einen bitteren Kern, welchen Kernochan süß mit komödiantischem Fruchtfleisch überzieht, dabei jedoch nie ins Klamottige oder Kitschige abdriftet, bis zum angenehm anderen Happy End stets die Waagschalen austariert und trockene Sätze einwebt: „You Like To Help? That’s Impossible.“

Mimische Steilvorlagen, launig aufgegriffen vom formidablen Darstellerduo Ben Kingsley (seit DER MEDICUS ja endlich wieder Schauspieler und nicht genervter Autopilot-Fleppenzieher) und – vor allem – Patricia Clarkson. Das Filmplakat retuschiert ihr jede (Charakter-)Falte weg, zeigt ein glattes Ding, glücklicherweise steht Clarkson in Aktion allerdings zu jedem gelebten Jahr, den müden Augenringen, der Ausdruckskraft verknitterter Haut, die sie jener Wendy nimmt und sich darin wohnlich einrichtet, die Hülle zum Leben erweckt. Wie immer möchte man zudem versinken in Clarksons heiser perlender Stimme, diesem nach Whisky, Zigarettenspitze und dem dampfenden Schweiß heißer Nächte klingenden Verbalorgan, weswegen selbstverständlich allein die Sichtung im Originalton das volle Erlebnis liefert, einige unerwartete Obszönitäten (so eine wörtliche Obduktion des „Blowjob“) nicht billig wirken läßt.

Derweil erfindet sich Regisseurin Isabel Coixet quasi neu, denn mal ehrlich: Traute man der Drama-Meisterin und Chirurgin am offenen Herzen solch’ vergleichsweise lockeren, luftigen, ungeachtet mehrschichtiger Hintergründigkeit oft spielerischen Ton je zu? Wohl kaum, und umso diebischer scheint Coixets Freude, wenn sie fluffig flutendes Licht einfängt, visuelle Pointen punktgenau setzt, eben noch vergrämten Gesichtern das strahlende Aufbrechen erlaubt oder aus Schmerz Humor kitzelt. Eine geniale Leistung, ihre vielleicht beste bislang. Und schließlich vervollständigt Martin Scorseses Stamm-Cutterin Thelma Schoonmaker das triumphierende weibliche Quartett mit grandioser Montage, welche zeigt, wie wichtig es auch bei einem Erzählfluß höchster Ruhe ist, ihn durch handwerkliches Geschick am leisen Lauf zu halten. Heißt letztendlich: vier Damen, vier brillante Leistungen, ein zwingendes Endergebnis.

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...