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Manuscripts Don’t Burn

Die Freiheit in Gedanken

Ein Mann flieht vor seinem Verfolger. Er springt in ein wartendes Auto, schaut auf seine blutverschmierten Hände und kann die alles entscheidende Frage des Fluchthelfers hinter dem Lenkrad nicht beantworten: „Hat er Dein Gesicht gesehen?“ So eröffnet Regisseur Mohammad Rasoulof seinen Film, beginnt quasi am Ende der Geschichte, und bricht sie damit auf für einen Blick, der alles sieht, aber noch nichts weiß. Etwa, daß der Mörder im Auftrag des iranischen Geheimdienstes handelte, daß sein Opfer wegen eines unveröffentlichten Buches sterben mußte, und daß hier ein perfides System am Werke ist, welches beide gegeneinander ausspielt. Auf der Anklagebank sitzt eine Überwachungsbürokratie, die ein anderes Verbrechen vertuschen will: den andauernden Mord an der Freiheit.

Rasoulof begibt sich in eine Sphäre der iranischen Gesellschaft, in der konkrete und metaphorische Gewalttaten am augenfälligsten ineinandergreifen. Er zeigt drei alternde Schriftsteller, die mit sich und der Zensurbehörde um den Mut ringen, ihre Gedanken in die Welt zu schreien. Und das, obwohl sie nur zu gut von den Wanzen im Telefon und den Haftbedingungen für Oppositionelle wissen. Unter ihnen kursieren zwei Manuskripte mit Sprengkraft – niedergeschriebene Erinnerungen an einen vom Geheimdienst in den 90er Jahren unternommenen Mordversuch, der gleich einen ganzen Bus voller Künstler auslöschen sollte.

Der „Thriller“, der sich rund um die Papiere entspinnt, ist freilich einer nach Art des iranischen Autorenkinos: klug strukturiert, sorgfältig, aber ohne Manierismen bebildert, von höchster poetischer Durchlässigkeit für die verbürgten Fakten und gefühlten Aporien der politischen wie privaten Realität. Denn besagten Bus gab es tatsächlich. Und daß Rasoulof die Namen seiner Schauspieler und technischen Mitstreiter beharrlich verschweigt, ist nicht nur Abspann gewordenes Statement, sondern auch ernstgemeinte Schutzmaßnahme.

Doch wer schützt ihn, wer den Kollegen und Freund Jafar Panahi, wenn sie nicht gerade auf internationalen Festivals für ihre Kunst- und Zivilcourage gefeiert werden? Ein deutscher Wirtschaftsminister auf Verhandlungsreise? Anläßlich solcher Fragen stiftet das titelgebende Zitat aus Bulgakows Roman „Der Meister und Margarita“ sogar poetologischen Sinn: Autoritäre Regime produzieren Satiren – ob nun vordergründiger wie in Panahis TAXI TEHERAN oder latent.

Originaltitel: DAST-NEVESHTEHAA NEMISOOSAND

Iran 2013, 134 min
Verleih: Peripher

Genre: Drama, Thriller, Polit

Darsteller: ungenannt

Stab:
Regie: Mohammad Rasoulof
Drehbuch: Mohammad Rasoulof
Produktion: Mohammad Rasoulof

Kinostart: 13.08.15

[ Sylvia Görke ]