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Scherbenpark

Vom Heilen psychischer Zersplitterung

Sascha könnte ein ganz normaler Teenager sein, vielleicht stünde der 17jährigen sogar eine Karriere als Schriftstellerin bevor – hieße der Arbeitstitel ihres geplanten Buches nicht „Die Geschichte einer hirnlosen rothaarigen Frau, die noch leben würde, wenn sie auf ihre kluge Tochter gehört hätte.“ Zu schlecht merkbar und sperrig einerseits, zu privat andererseits, denn Saschas Mutter wurde ermordet, von Stiefvater Vadim.

Jener darf sich im Lokalblatt als reuiger Sünder darstellen, was Sascha zwei Entschlüsse abringt: Erstens wird sie Vadim aus Rache töten. Und zweitens kriegt’s der für die miese journalistische Recherche verantwortliche Schreiberling mit ihr zu tun! Über den armen Tropf bricht Sascha denn auch erst naturgewaltig herein und nachfolgend in sein Leben, welches so ganz anders ist als das eigene. Kleinbürgerlich, dezent spießig, ökologisch ausgerichtet, aber schon behaglich. Und außerdem gibt’s da noch den netten Sohn ...

Nun atmet Saschas Umfeld vorerst den Ruch typisch deutschen Problemkinos, zeigt eine aus Beton zusammengezimmerte Welt, in der Grauschleier wabern, sich heranwachsende Mädchen wie Dorfhuren kleiden und minderjährig Kinder kriegen. Doch das weibliche Dreigestirn aus Regisseurin Bettina Blümner, Autorin Katharina Kress sowie Hauptdarstellerin Jasna Fritzi Bauer triumphiert über potentielles Begaffen asozialer Zustände, ringt der Tristesse schüchternen Zauber schmerzlicher Sorte und nicht zuletzt dem emotionalen Vulkantanz rotzigen Witz ab. Der erste Sex – eine klebrige Angelegenheit mit Startschwierigkeiten („Nicht da rein!“). Das Herantasten an eine Umgebung, wo man es nicht nötig hat, die taffe Unberührbare zu mimen – ein Drahtseilakt, denn „das ist ein Passivhaus“ und folgt speziellen Regeln. Schließlich die Erkenntnis, daß Loslassen immer der Anfang eines Neubeginns sein kann, sollte und letztlich eigentlich muß.

Aller formalen Übersichtlichkeit und sich manchmal dennoch still einschleichender Stolperszenen zum Trotz überzeugt Blümners Ausflug gen Plattenbau, Familientrauma und individuelles Erwachen so weitgehend als ohne Anbiederung agierendes Fühlstück für das jüngere, im privaten inneren Chaos gefangene Publikum. Hauptsächlich, wenn diese besondere, ungeschliffene Ruppigkeit voll durchschlägt und das erwähnte deutsche Problemkino entspannt mit dem ausgefahrenen Stinkefinger piekt.

D 2013, 94 min
FSK 12
Verleih: Neue Visionen

Genre: Tragikomödie, Erwachsenwerden, Literaturverfilmung

Darsteller: Jasna Fritzi Bauer, Ulrich Noethen, Max Hegewald

Regie: Bettina Blümner

Kinostart: 21.11.13

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...