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Searching For Sugar Man

Grandiose Detektivarbeit voller Herzblut

Hier sind die Fakten: Sänger Rodriguez hat in seiner Heimat USA wortwörtlich so um die sechs Platten verkauft, seine beiden Alben lagen wie das berühmte Blei unter dicken Staubschichten. In Südafrika dagegen war der Mann ein größerer Star als Elvis, geriet zur Stimme der Anti-Apartheid-Bewegung. Die Musik verboten, unter der Ladentheke gehandelt. Von seinem Ruhm wußte Rodriguez selbst nichts, brachte als Bauarbeiter mit Aushilfsjobs seine Familie über die Runden. Und schließlich herrscht Einigkeit, daß er sich öffentlich umbrachte, nur bezüglich des „wie“ gehen die Meinungen auseinander – Selbstverbrennung kommt in Frage, Erschießen ebenfalls. Zwei Fans wollten mehr erfahren, folgten kryptischen Hinweisen und stellten teils unbequeme Fragen: Wo blieb das verdiente Geld? Was geschah Rodriguez? Ist er tatsächlich tot? Puzzleteilchen werden zusammengesetzt, bei Wegbegleitern nachgebohrt, ein Ex-Plattenboss ausgequetscht, Mythen auf ihren Wahrheitsgehalt abgeklopft. Der Beginn einer weitaus größeren Geschichte.

Wieso all das kaum nach der Inhaltsangabe einer Doku, sondern eher eines Thrillers klingt, möchten Sie wissen? Nun, weil SEARCHING FOR SUGAR MAN weitaus spannender ist als viele die Kinos verstopfenden Schablonenkrimis. Außerdem mitreißender als jeder Fantasy-Schinken und berührender als einiges von der Drama-Fraktion. Dafür stehen schon allein die zum Interview gebetenen Gesprächspartner – keine üblich lobhudelnden Marketingquatscher, sondern sichtlich ergriffene Verehrer des Songwriters. Da brechen manchmal Stimmen, schimmern Tränen, Letzteres könnte sich empathisch im Zuschauerraum fortsetzen. Vielleicht auch, wenn Rodriguez’ intelligent getextete Lieder einen melancholischen Kokon um Animationssequenzen, Archivmaterial, Newsaufnahmen und andere zeitgeschichtliche Ausflüge spinnen. Hier kurz angerissen das Lebensgefühl im Detroit der 70er, dort ein grelles Schlaglicht auf immerwährenden Rassismus, doch stets bleibt der gesuchte Künstler und dahinter stehende Mensch das Zentrum der Betrachtung.

Dann schließlich, ganz unerwartet, kommen sie und er: diese eine Enthüllung, welche das Gesehene weiter vertieft, dieser Moment, der Auftakt ist für eine bis zum Schluß anhaltende Ganzkörper-Gänsehaut. Mehr kann und darf hier nicht verraten sein. Aufklärung leistet ein unter aller Dringlichkeit ans Herz gelegter Kinobesuch.

Originaltitel: SEARCHING FOR SUGAR MAN

S/GB 2012, 85 min
FSK 0
Verleih: REM

Genre: Dokumentation, Musik, Biographie

Regie: Malik Bendjelloul

Kinostart: 27.12.12

[ Frank Blessin ] Frank mag Trash, Grenzgängerisches und Filme, in denen gar nicht viel passiert, weil menschliche Befindlichkeiten Thema sind. Russ Meyer steht deshalb fast so hoch im Kurs wie Krzysztof Kieslowski. Frank kann außerdem GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN mitsprechen und wird IM GLASKÄFIG nie vergessen ...